Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Kopf zu, dass er an siebenundachtzigtausendvierhundertsechzehn gedacht hat. Der zweite Arzt wirkt momentan überrascht – sogar sprachlos erstaunt –, dann tarnt er das mit einem breiten Scheißergrinsen. »Sorry, junger Mann«, sagt er, »Sie haben sich nur um knapp hundertdreißigtausend verschätzt.« Ted betrachtet ihn, ohne zu lächeln, ohne irgendwie bewusst auf dieses Scheißergrinsen zu reagieren, aber er ist erst achtzehn und noch jung genug, um von solcher ungeheuerlichen und scheinbar sinnlosen Verlogenheit platt zu sein. Unterdessen ist das Scheißergrinsen von Doc Nummer zwo von selbst verblasst. Er wendet sich an Doc Nummer eins und sagt: »Sieh dir seine Augen an, Sam – sieh dir an, was mit seinen Augen passiert.«
Der erste Arzt versucht, Teds Augen mit einem Augenspiegel zu untersuchen, aber Ted wischt ihn ungeduldig beiseite. Er hat Zugang zu Spiegeln und weiß, wie seine Pupillen sich manchmal weiten und wieder verengen, ist sich dieses Vorgangs selbst außer Reichweite eines Spiegels bewusst, weil sein Sehvermögen dann zu flimmern und zu stottern scheint, aber das interessiert ihn nicht, vor allem jetzt nicht. Im Moment interessiert ihn nur, dass Doc Nummer zwo ihn verscheißert, ohne dass er einen Grund dafür erkennen kann. »Schreiben Sie die Zahl diesmal auf«, fordert er ihn auf. »Schreiben Sie sie auf, damit Sie nicht betrügen können.«
Doc Nummer zwo plustert sich auf. Ted wiederholt seine Herausforderung. Doc Sam bietet ihm Papier und Bleistift an, und der zweite Arzt nimmt beides. Als er eben eine Zahl hinschreiben will, besinnt er sich anders, wirft den Bleistift auf Sanis Schreibtisch und sagt: »Das ist irgendein billiger Straßenkünstlertrick, Sam. Wenn du das nicht erkennst, musst du wirklich blind sein.« Und kaum hat er das gesagt, stolziert er auch schon davon.
Ted fordert Dr. Sam nun auf an einen Verwandten, irgendeinen Verwandten, zu denken, und sagt ihm im nächsten Augenblick, dass er an seinen Bruder Guy denkt, der mit vierzehn an einer Blinddarmentzündung gestorben ist – und dass ihre Mutter ihn seither als Sams Schutzengel bezeichnet. Diesmal wirkt Dr. Sam wie vor den Kopf geschlagen. Außerdem bekommt er es jetzt mit der Angst zu tun. Ob das an den merkwürdigen Kontraktions- und Entspannungs-Bewegungen von Teds Pupillen oder der nüchtern-sachlichen Demonstration von Telepathie ohne dramatisches Stirnreiben, ohne Gemurmel »Ich nehme etwas wahr … warten Sie …« liegt, bleibt unklar, aber Dr. Sam hat jetzt Angst. Er stempelt Teds Freiwilligenbewerbung mit einem großen roten UNTAUGLICH ab und will ihn dann loswerden – der Nächste bitte, wer will nach Frankreich und Senfgas schnüffeln? –, aber Ted fasst ihn sanft, aber durchaus bestimmt am Arm.
»Hören Sie«, sagt Ted Stevens Brautigan, »ich bin ein echter Telepath. Das habe ich schon mit sechs oder sieben Jahren vermutet – sobald ich alt genug war, um dieses Wort zu kennen –, und ich weiß es sicher, seit ich sechzehn bin. Ich könnte beim Nachrichtendienst wertvolle Arbeit leisten, und auf einem solchen Posten würden Herzgeräusche und Hörschwäche nicht viel ausmachen. Und die Sache mit meinen Augen?« Er greift in die Brusttasche, zieht eine Sonnenbrille heraus und setzt sie auf. »Voilà!«
Er lächelt Dr. Sam zaghaft an. Was aber nichts nutzt. An der Tür des provisorischen Rekrutierungsbüros im Nebenraum der Turnhalle der Highschool East Hartford ist ein Feldwebel postiert, den der Arzt jetzt heranwinkt. »Dieser junge Mann hat einen T5, und ich habe keine Lust, noch länger mit ihm zu diskutieren. Vielleicht sind Sie so freundlich, ihn hinauszubegleiten.«
Nun ist es Teds Arm, der gepackt wird – und das nicht gerade sanft.
»Augenblick!«, sagt Ted. »Ich kann noch was anderes! Etwas, das noch wertvoller ist! Ich weiß nicht, ob es ein Wort dafür gibt, aber …«
Bevor er weiterreden kann, schleppt der Feldwebel ihn hinaus und befördert ihn den Korridor entlang, an mehreren neugierig gaffenden Jungen und Mädchen in fast genau seinem Alter vorbei. Es gibt ein Wort dafür, und er wird es viele Jahre später im Blauen Himmel erfahren. Das Wort heißt Katalysator, und aus Paul »Pimli« Prentiss’ Sicht macht das Ted Stevens Brautigan so ziemlich zum wertvollsten Hume des Universums.
Was jedoch nicht an jenem Tag des Jahres 1916 gilt. An diesem Tag des Jahres 1916 wird er eilig den Korridor entlanggeschoben und auf der Granittreppe vor dem Haupteingang deponiert und von
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