Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
zu.
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Die Einstellungstests werden von Humes vorgenommen (ein Ausdruck, den Ted Brautigan erst einige Wochen später mitbekommen wird – nicht bevor er das Jahr 1955 verlässt und die Nicht-Zeit des Algul betritt). Auch der Leiter des Vorstellungsgesprächs, mit dem er es schließlich in San Francisco zu tun hat, ist ein Hume. Ted wird mit der Zeit erfahren (neben sehr vielen anderen Sachen), dass die Verkleidungen der niederen Männer, vor allem die Masken, die sie tragen, gar nicht so perfekt sind, jedenfalls nicht, wenn man ihnen persönlich nahe gegenübersteht. Persönlich und aus der Nähe kann man die Wahrheit erkennen: Sie sind Hume/Taheen-Mischlinge, die ihr Werden mit religiösem Eifer betreiben. Die sicherste Methode, sich in der Umklammerung eines niederen Mannes wiederzufinden, während ein Satz mörderischer Niedere-Mann-Zähne nach der Halsschlagader des Opfers sucht, ist es, ihnen gegenüber zu behaupten, dass sie nur zweierlei werden: älter und hässlicher. Die roten Markierungen in der Stirnmitte – das Auge des Königs – verschwinden im Allgemeinen, wenn sie auf der Amerika-Seite sind (oder trocknen wie vorübergehend untätige Pickel ein), und die Masken nehmen im Großen und Ganzen eine unheimliche organische Beschaffenheit an, nur hinter den Ohren nicht, wo das behaarte, mit Zähnen besetzte Unterfleisch sichtbar wird, und ebenso nicht in den Nasenlöchern, in denen man Dutzende sich bewegende Flimmerhärchen sehen kann. Aber wer ist schon so unhöflich, seinem Gegenüber von unten in die Nasenlöcher zu glotzen?
Was immer sie selbst glauben, persönlich und aus der Nähe gesehen, stimmt bei ihnen irgendwas ganz entschieden nicht, auch wenn sie auf der Amerika-Seite sind, und niemand will die neuen Fische erschrecken, bevor das Netz ausgelegt ist. Deshalb sind es Humes (ein Ausdruck, den die Can-Toi niemals benutzen; sie halten ihn für so abwertend wie »Nigger« oder »Vamp«) bei den Einstellungstests, Humes bei den Vorstellungsgesprächen, nichts als Humes, bis sie später durch eine der noch funktionierenden Türen auf der Amerika-Seite gehen, um dann in Donnerschlag herauszukommen.
Ted unterzieht sich dem Einstellungstest gemeinsam mit etwa hundert weiteren Kandidaten in einer Turnhalle, die ihn an die in East Hartford erinnert. Sie ist mit unendlichen Reihen von Schultischen voll gestellt (der Hallenboden ist rücksichtsvollerweise mit Turnmatten ausgelegt worden, damit die altmodischen Stahlrohrgestelle der Tische das versiegelte Hartholz nicht zerkratzen), aber nach der ersten Testrunde – ein neunzig Minuten langer Grundlagentest in Mathe, Englisch und Allgemeinwissen – sind die Hälfte davon nicht mehr besetzt. Nach der zweiten Runde sind es bereits drei Viertel. Diese zweite Runde besteht aus teilweise mächtig seltsamen Fragen, höchst subjektiven Fragen, und in manchen Fällen gibt Ted sogar Antworten, die gar nicht seiner Überzeugung entsprechen, weil er sich denkt – vielleicht weiß er das auch –, dass die Veranstalter der Prüfung nicht die Antwort hören wollen, die er (und die meisten anderen Leute) normalerweise geben würden. Als Beispiel dafür sollte folgendes kleines Juwel dienen:
23. Sie halten auf einer wenig befahrenen Landstraße hinter einem Wagen, der von der Straße abgekommen ist und sich überschlagen hat. In diesem Fahrzeug ist ein junger Mann eingeklemmt, der um Hilfe ruft. Sie fragen: »Sind Sie verletzt, junger Mann?«, worauf er antwortet: »Nein, ich glaube nicht.« Auf dem Feld neben dem Wagen liegt eine Ledertasche voller Geld. Sie:
a) retten den jungen Mann und geben ihm sein Geld zurück
b) retten den jungen Mann, bestehen aber darauf, dass das Geld zur örtlichen Polizei gebracht wird
c) schnappen sich das Geld und fahren weiter, weil Sie wissen, dass irgendwann jemand vorbeikommen und den jungen Mann befreien wird, auch wenn die Straße wenig befahren ist
d) entscheiden sich für keine der drei oben genannten Möglichkeiten
Wäre das Ganze ein Einstellungstest für den Polizeidienst in Sacramento gewesen, hätte Ted im Handumdrehen »b« umkringelt. Er mag vielleicht eine Art Vagabund sein, aber seine Mama hat keine Dummköpfe großgezogen, verbindlichsten Dank. Diese Wahl wäre auch unter den meisten anderen Umständen richtig gewesen – mit ihr ging man auf Nummer Sicher, mit ihr konnte man nichts falsch machen. Und als Auffangposition, die
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