Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
augenblicklich weg, wie das auch bei den meisten Leuten geschah, die schon einmal hypnotisiert worden waren. Die Augen blieben offen, aber jetzt schienen sie durch den Revolvermann hindurchzusehen, etwas Entferntes zu fixieren.
Rolands Herz schrie, er solle diese Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen, aber sein Kopf wusste es besser. Du darfst nicht pfuschen. Außer du willst Jakes Opfer wertlos machen.
Die Frau sah ihn ebenso an wie der Fahrer des Minivans, der nun in der offenen Tür seines Fahrzeugs saß. Sai Tassenbaum wehrte sich dagegen, das merkte Roland, aber Bryan Smith war Stephen King ins Land des Schlafs gefolgt. Was den Revolvermann nicht sonderlich überraschte. Hätte der Kerl auch nur im Entferntesten geahnt, was er hier angerichtet hatte, hätte er bestimmt jede Fluchtmöglichkeit genutzt. Selbst eine nur vorläufige.
Der Revolvermann konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann, der – so musste man ihn wohl bezeichnen – sein Biograf war. Er begann genau wie damals. In seinem Leben bedeutete das: vor einigen Tagen. In dem des Schriftstellers: vor über zwei Jahrzehnten.
»Stephen King, siehst du mich?«
»Heil, Revolvermann, ich sehe dich sehr wohl.«
»Wann hast du mich zuletzt gesehen?«
»Als wir in Bridgton gewohnt haben. Als die Kinder noch klein waren. Als ich noch gelernt habe, wie man schreibt.« Eine Pause, dann nannte er Roland etwas, das für ihn die wichtigste Zeitmarke war, etwas, das bei jedem Mann anders war: »Als ich noch getrunken habe.«
»Schläfst du jetzt tief?«
»Tief.«
»Du hast keine Schmerzen mehr?«
»Keine mehr, ja. Ich danke dir.«
Der Billy-Bumbler heulte wieder auf. Roland sah sich um und hatte schrecklich Angst davor, was das bedeuten könnte. Die Frau war zu Jake gegangen und kniete jetzt neben ihm. Roland war erleichtert, als er sah, dass Jake ihr einen Arm um den Hals legte und sie zu sich herabzog, um in ihr Ohr sprechen zu können. Wenn er kräftig genug war, das zu tun …
Schluss damit! Du hast gesehen, wie der Brustkorb unter seinem Hemd eingedrückt ist! Du kannst es dir nicht leisten, Zeit für Hoffnung zu vergeuden.
Roland war das Opfer eines grausamen Paradoxes: Weil er Jake liebte, musste er Jakes Sterbebegleitung Oy und einer Frau überlassen, der sie erst vor weniger als einer Stunde zum ersten Mal begegnet waren.
Nicht zu ändern. Er hatte jetzt mit King zu reden. Wenn Jake die Lichtung betrat, während er ihm den Rücken zukehrte … Wenn das Ka es so will, lass es geschehen.
Roland nahm seinen ganzen Willen und all seine Konzentration zusammen. Er fokussierte sie in einem Brennpunkt, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Schriftsteller zu. »Bist du Gan?«, fragte er abrupt, ohne zu wissen, was ihm diese Frage eingegeben hatte. Er wusste nur, dass es die richtige Frage war.
»Nein«, sagte King sofort. Von der Platzwunde auf seiner Stirn lief ihm das Blut in den Mund. Er spuckte es aus, ohne auch nur zu blinzeln. »Ich habe mich mal für ihn gehalten, aber das war nur der Suff. Und Stolz, nehme ich an. Kein Schriftsteller ist Gan – kein Maler, kein Bildhauer, kein Komponist. Wir sind Kas-ka Gan. Nicht Ka-Gan, sondern Kas-ka. Gan. Verstehst du? Weißt du, was ich meine?«
»Ja«, sagte Roland. Propheten oder Sänger von Gan: dieses Wort konnte eines davon oder beides bedeuten. Und er wusste jetzt auch, weshalb er das gefragt hatte. »Und das Lied, das du singst, ist Ves’- Ka Gan. Hab ich Recht?«
»O ja!«, sagte King und lächelte. »Das Lied der Schildkröte. Viel zu lieblich für jemanden wie mich, der kaum tonrein singen kann.«
»Das ist mir egal«, sagte Roland. Er dachte so schnell und klar, wie sein benommener Verstand es zuließ. »Und nun bist du bei einem Unfall verletzt worden.«
»Bin ich gelähmt?«
»Keine Ahnung.« Ist mir auch egal. »Ich weiß nur, dass du am Leben bleiben wirst, und wenn du wieder schreiben kannst, wirst du wie früher aufs Lied der Schildkröte, Ves’-Ka Gan, hören. Gelähmt oder nicht. Und diesmal wirst du singen, bis das Lied zu Ende ist.«
»Also gut.«
»Du wirst …«
»Und Urs-Ka Gan, das Lied des Bären«, unterbrach King ihn. Dann schüttelte er den Kopf, obwohl ihm das selbst in der Hypnose sichtlich Schmerzen bereitete. »Urs-A-Ka Gan.«
Der Ruf des Bären? Der Schrei des Bären? Roland wusste nicht, was hier gemeint war. Er würde hoffen müssen, dass es keine Rolle spielte, dass es nicht mehr als die Wortklauberei eines Schriftstellers
Weitere Kostenlose Bücher