Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
abweisen.«
»Ich muss sie abweisen.«
»Auch wenn ihre Augen und ihre Brüste Euch in Versuchung führen.«
»Auch dann«, stimmte King zu.
»Warum werdet Ihr sie abweisen, Sai?«
»Weil das Lied nicht fertig ist.«
Endlich war Roland zufrieden. Mrs. Tassenbaum kniete neben Jake. Der Revolvermann beachtete die beiden nicht weiter und ging zu dem Mann, der zusammengesunken am Steuer der Motorkutsche saß, die all den Schaden angerichtet hatte. Die Augen dieses Mannes waren weit aufgerissen und ausdruckslos, der Mund war schlaff geöffnet. Von seinem stoppelbärtigen Kinn hing ein Speichelfaden herab.
»Hört Ihr mich, Sai?«
Der Mann nickte ängstlich. Die Hunde hinter ihm waren verstummt. Vier glänzende Augen beobachteten den Revolvermann aus dem Raum zwischen den Sitzen heraus.
»Wie heißt Ihr?«
»Bryan, wenn’s Euch gefällt … Bryan Smith.«
Nein, das gefiel ihm überhaupt nicht. Hier war noch ein Mann, den er am liebsten erwürgt hätte. Auf der Straße fuhr ein weiteres Auto vorbei, und diesmal hupte der Fahrer oder die Fahrerin, als er oder sie vorbeifuhr. Woraus ihr Schutzschild auch bestehen mochte, er begann dünn zu werden.
»Sai Smith, Ihr habt einen Mann angefahren – mit Eurem Wagen oder Truckomobil oder wie Ihr’s sonst nennt.«
Bryan Smith begann am ganzen Leib zu zittern. »Ich hab noch nie auch nur ’n Strafzettel für Falschparken gekriegt«, jammerte er, »und jetzt muss ich den berühmtesten Mann vom ganzn Staat umfahn! Meine Hunde haben gerauft …«
»Eure Lügen ärgern mich nicht«, sagte Roland, »aber die Angst, aus der sie entstehen, tut es. Schweigt jetzt.«
Bryan Smith hielt wie befohlen den Mund. Aus seinem Gesicht schwand langsam, aber stetig alle Farbe.
»Ihr wart allein, als Ihr ihn angefahren habt«, sagte Roland. »Niemand war hier außer Ihr und der Geschichtenerzähler. Habt Ihr verstanden?«
»Ich war allein. Mister, sind Sie ein Wiedergänger?«
»Was ich bin, geht Euch nichts an. Ihr habt nach ihm gesehen und festgestellt, dass er noch lebt.«
»Noch lebt, gut«, sagte Smith. »Ich wollt keinem was tun, ehrlich.«
»Er hat mit Euch gesprochen. Daher habt Ihr gewusst, dass er noch lebt.«
»Ja!« Smith lächelte. Dann runzelte er die Stirn. »Was hat er gesagt?«
»Das wisst Ihr nicht mehr. Ihr wart aufgeregt und ängstlich.«
»Ängstlich und aufgeregt. Aufgeregt und ängstlich. Ja, das war ich.«
»Ihr fahrt jetzt weg. Unterwegs wacht Ihr nach und nach wieder auf. Und beim ersten Haus oder Laden haltet Ihr an, um zu melden, dass hier an der Straße ein Mann liegt. Ein Mann, der Hilfe braucht. Wiederholt jetzt Euren Auftrag, und seid wahrhaftig.«
»Fahren.« Mit den Händen liebkost er das Lenkrad, als wäre er am liebsten sofort losgefahren. Roland vermutete, dass dem wohl auch so war. »Nach und nach aufwachen. Im ersten Haus oder Laden melden, dass Stephen King verletzt am Straßenrand liegt und Hilfe braucht. Ich weiß, dass er noch lebt, weil er mit mir geredet hat. Es war ein Unfall.« Er machte eine Pause. »Das war nicht meine Schuld. Er ist auf der Fahrbahn gegangen.« Erneut eine Pause. »Wahrscheinlich.«
Kümmert’s mich, wer die Verantwortung für diesen Schlamassel tragen muss?, fragte Roland sich. Irgendwie nicht. King konnte in beiden Fällen weiterschreiben. Und Roland hoffte fast, dass man ihm die Schuld gab, weil eigentlich King an allem schuld war: Er hätte überhaupt nie hier draußen unterwegs sein dürfen.
»Fahrt jetzt los!«, befahl er Bryan Smith. »Ich will Euer Gesicht nicht mehr sehen.«
Smith ließ den Motor des Vans mit einer Miene an, aus der wahre Erleichterung sprach. Roland machte sich nicht die Mühe, ihn beim Wegfahren zu beobachten. Er ging zu Mrs. Tassenbaum hinüber und sank neben ihr auf die Knie. Oy saß jetzt stumm Jake zu Häupten, weil er wusste, dass der, um den er trauerte, sein Heulen nicht mehr hören konnte. Was der Revolvermann am meisten gefürchtet hatte, war passiert. Während er mit zwei Männern gesprochen hatte, die er nicht mochte, war der Junge, den er mehr liebte als alle anderen – mehr als er sein ganzes Leben lang jemanden geliebt hatte, selbst Susan Delgado –, zum zweitenmal für ihn unerreichbar geworden. Jake war tot.
5
»Er hat mit dir gesprochen«, sagte Roland. Er nahm Jake in die Arme und begann ihn sanft zu wiegen. Die ’Rizas klapperten in ihrer Tasche. Er bildete sich ein, dass Jake bereits kalt wurde.
»Ja«, sagte sie.
»Was hat er
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