Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
weiteren Gedanken für Mordred übrig, der irgendwo dort draußen im Dunkeln war und sein Abendessen vermutlich roh verzehrte. Möglicherweise besaß er Zündhölzer, aber er war nicht dumm; hätten sie in der Dunkelheit ein weiteres Feuer gesehen, hätten sie es sofort überfallen. Und ihn. Dann peng-peng-peng, goodbye, Spider-Boy. Sie empfand erstaunlich viel Mitgefühl für ihn und ermahnte sich selbst, sich davor in Acht zu nehmen. Unter umgekehrten Vorzeichen hätte Mordred bestimmt keines für Roland oder sie empfunden.
Nach dem Essen wischte Roland sich die fettigen Finger am Hemd ab und sagte: »Das hat gut geschmeckt.«
»Das kannst du laut sagen.«
»Jetzt nehmen wir die Gehirne heraus. Dann schlafen wir.«
»Nacheinander?«, fragte Susannah.
»Ja – meines Wissens gibt’s nur ein Gehirn pro Kunde.«
Im ersten Augenblick war sie zu überrascht, als sie Eddies Redewendung
(eines pro Kunde)
aus Rolands Mund kommen hörte, um zu merken, dass er einen Scherz gemacht hatte. Lahm, ja, aber trotzdem ein echter Scherz. Sie rang sich ein Pro-forma-Lächeln ab. »Sehr witzig, Roland. Du weißt, was ich meine.«
Roland nickte. »Wir schlafen abwechselnd und halten Wache, ja. Ich glaube, das wäre am besten.«
Zeit und Wiederholung hatten ihre Wirkung getan; sie hatte inzwischen zu viele hervorquellende Eingeweide gesehen, um sich jetzt noch vor ein paar Gehirnen zu ekeln. Sie schlugen Schädel ein, benutzten Rolands Messer (jetzt schon ziemlich stumpf), um sie aufzubrechen, und nahmen dann die Gehirne der erlegten Tiere heraus. Diese stapelten sie sorgfältig wie ein Gelege mit großen grauen Eiern auf. Bis der letzte Schädel sein Gehirn hergegeben hatte, waren Susannahs Finger so wund und geschwollen, dass sie sich kaum noch biegen ließen.
»Leg dich hin«, sagte Roland. »Schlaf. Ich übernehme die erste Wache.«
Susannah widersprach nicht. Sie wusste, dass ihr voller Bauch und die Wärme des Feuers bewirken würden, dass sie schnell einschlief. Sie wusste auch, dass sie so steif aufwachen würde, dass es schwierig und schmerzhaft sein würde, sich auch nur hinzusetzen. Aber das war ihr jetzt egal. Ein Gefühl großer Zufriedenheit erfüllte sie. Zum Teil rührte es natürlich daher, dass sie warm und reichlich gegessen hatte, aber das war nicht alles. Ihr Wohlbehagen kam zum größeren Teil daher, dass sie einen Tag lang hart gearbeitet hatte – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dass sie etwas für sich getan hatten, statt sich nur treiben zu lassen.
Jesus, dachte sie, ich glaube, ich werde auf meine alten Tage noch zur Republikanerin.
Dann fiel ihr noch etwas anderes auf: wie still es hier war. Kein Laut außer dem Seufzen des Windes, dem Wispern des Schneeregens (jetzt allmählich nachlassend) und dem Prasseln des herrlichen Feuers.
»Roland?«
Er sah von seinem Platz am Feuer zu ihr herüber und zog dabei die Augenbrauen hoch.
»Du hustest nicht mehr.«
Er lächelte und nickte. Sie nahm sein Lächeln in den Schlaf mit, aber es war dann Eddie, von dem sie träumte.
9
Sie blieben drei Tage in ihrem Lager am Bach, und in dieser Zeit lernte Susannah mehr über die Herstellung von Lederkleidung, als sie je für möglich gehalten hätte (und sehr viel mehr, als sie wirklich wissen wollte).
Indem sie das Bachufer ungefähr eine Meile weit in beiden Richtungen absuchten, fanden sie geeignete Stücke von Baumstämmen, für beide einen. Während sie unterwegs waren, weichten die Felle in der provisorischen Wanne ein, die nun mit einer dunklen Brühe aus Wasser und Asche gefüllt war. Sie stellten die Stammstücke schräg an zwei Weiden (nebeneinander, damit sie Seite an Seite arbeiten konnten) und verwendeten dann die Chert-Schaber, um die Häute von Haaren zu befreien. Dafür brauchten sie einen Tag. Als sie damit fertig waren, schöpften sie die »Wanne« aus, drehten das Hirschfell um und füllten die Grube wieder, diesmal mit einer Mischung aus Wasser und zerstampftem Hirn. Dieses Verfahren zur Gerbung war ihr neu. Sie weichten die Häute über Nacht in der Brühe ein, und während Susannah damit beschäftigt war, Sehnen zu Nähfäden zu verarbeiten, schärfte Roland sein Messer wieder und schnitzte dann damit ein halbes Dutzend Knochennadeln. Danach bluteten alle seine Finger von Dutzenden von nicht sehr tiefen Schnitten. Er bestrich sie mit feuchter Holzasche, sodass die Hände aussahen, als trüge er große, plumpe grauschwarze Handschuhe. So schlief er dann auch. Als er die
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