Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Asche am nächsten Morgen im Bach abwusch, sah Susannah erstaunt, dass die Schnittwunden schon deutlich zu heilen begonnen hatten. Daraufhin betupfte sie auch das hartnäckige kleine Geschwür neben ihrer Unterlippe mit etwas Holzasche, aber das Zeug brannte derart fürchterlich, dass sie es schleunigst wieder abwusch.
»Ich möchte, dass du mir dieses gottverdammte Ding wegschneidest«, sagte sie.
Roland schüttelte den Kopf. »Wir lassen ihm noch etwas Zeit, von allein zu heilen.«
»Warum?«
»An einem Geschwür herumzuschneiden ist immer schlecht, wenn’s nicht unbedingt sein muss. Vor allem hier ›jod-wä-deh‹, wie Jake gesagt hätte.«
Sie stimmte dem zu (ohne sich die Mühe zu machen, seine Aussprache zu korrigieren), aber als sie sich zur Ruhe legte, krochen ihr unangenehme Bilder in den Kopf: Phantasiebilder davon, wie der Pickel immer größer wurde, ihr Gesicht Stück für Stück wegfraß und ihren ganzen Kopf in einen schwarzen, verkrusteten, blutenden Tumor verwandelte. In der Dunkelheit besaßen solche Bilder grausige Überzeugungskraft, aber zum Glück war sie zu müde, um sich lange von ihnen wach halten zu lassen.
Am zweiten Tag im Gerberlager, wie Susannah es nun insgeheim nannte, baute Roland über einem neuen Feuer, das klein und langsam brannte, ein großes, ziemlich wackeliges Gestell. Sie räucherten je zwei Häute gleichzeitig und legten sie dann beiseite. Der Geruch des fertigen Produkts war überraschend angenehm. Es riecht wie Leder, dachte Susannah, als sie eines an ihr Gesicht hielt, und musste dann lachen. Schließlich war es genau das.
Den dritten Tag verbrachten sie mit »Schneiderei«, und hier übertraf Susannah den Revolvermann endlich einmal. Roland nähte mit weit gesetzten, nur halbwegs brauchbaren Stichen. Sie glaubte, dass seine Westen und Leggings gerade einmal einen Monat lang zusammenhielten, vielleicht auch zwei, sich dann jedoch allmählich auflösen würden. Sie selbst war da weitaus geschickter. Nähen war eine Fertigkeit, die sie von ihrer Mutter und ihren beiden Großmüttern gelernt hatte. Anfangs trieben sie Rolands sperrige Knochennadeln fast in den Wahnsinn, bis sie sich die Zeit nahm, Daumen und Zeigefinger der rechten Hand mit kleinen Hirschlederkappen zu bedecken, die sie dort festband. Danach ging die Arbeit leichter von der Hand, und am frühen Nachmittag des Schneidereitages nahm sie Kleidungsstücke von Rolands Stapel und besserte seine weiten Stiche an vielen Stellen mit ihren aus, die feiner und enger gesetzt waren. Sie rechnete damit, dass er dagegen protestieren würde – Männer hatten da so ihren Stolz –, aber er unterließ das, was wahrscheinlich auch nur klug war. Hätte er gejammert und sich beschwert, wäre ihm vermutlich Detta Walker über den Mund gefahren.
Als die dritte Nacht im Gerberlager anbrach, hatten beide je eine Weste, ein Paar Leggings und einen Mantel. Dazu je ein Paar Fausthandschuhe. Das waren plumpe, lächerlich aussehende Dinger, die aber die Hände immerhin warm halten würden. Und was Hände betraf, so war Susannah wieder einmal kaum mehr imstande, die Finger zu biegen. Mit einem zweifelnden Blick auf die verbliebenen Häute fragte sie Roland, ob sie einen weiteren Schneidereitag hier im Lager verbringen würden.
Er dachte kurz darüber nach, dann schüttelte er den Kopf. »Wir laden den Rest einfach nur aufs Ho-Fat-Tack-Sieh, zusammen mit einem Teil des Fleischs und ein paar Brocken Eis aus dem Bach, damit es kühl und frisch bleibt.«
»Das Taxi wird wertlos sein, sobald wir zum Schnee kommen, oder?«
»Richtig«, sagte er, »aber bis dahin haben wir dann auch die restlichen Häute zu Kleidungsstücken verarbeitet und das Fleisch längst verzehrt.«
»Du hältst es hier nicht länger aus, stimmt’s? Du hörst seinen Ruf. Den des Turms.«
Roland starrte in das prasselnde Feuer und sagte nichts. Das war auch nicht nötig.
»Wie transportieren wir unsere Gunna, wenn wir in die Weißen Lande kommen?«
»Wir bauen uns eine Schleppbahre. Und dort gibt’s dann auch reichlich frisches Wild.«
Susannah nickte und wollte sich nun hinlegen. Roland fasste sie jedoch an den Schultern und drehte sie zu dem Feuer um. Er brachte sein Gesicht so nahe an ihres heran, dass sie kurz glaubte, er wolle ihr einen Gutenachtkuss geben. Stattdessen betrachtete er lange und prüfend das kleine Geschwür neben ihrer Unterlippe.
»Und?«, sagte sie schließlich. Sie hätte mehr sagen können, aber dann hätte er das Zittern in
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