Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
immer weiter zurück. Kämpft darum, etwas zu essen zu bekommen, kämpft darum, an uns dranzubleiben, kämpft vor allem darum, es warm zu haben.«
»Um es warm zu haben?« Das konnte Susannah kaum glauben. Sie waren auf allen Seiten von Bäumen umgeben.
»Er hat keine Zündhölzer und auch nichts von diesem Stern-O. Ich glaube, dass er eines Abends – das muss ziemlich am Anfang gewesen sein – auf eines unserer Feuer gestoßen ist und unter der Asche etwas Glut entdeckt hat, die er anschließend ein paar Tage lang mitführen konnte, um abends Feuer machen zu können. Auf diese Weise haben schon die alten Höhlenbewohner auf ihren Wanderungen Feuer mitgenommen, wie ich einmal gelernt habe.«
Susannah nickte. Sie hatte im Naturkundeunterricht an der Highschool ungefähr das Gleiche gehört, obwohl ihre Lehrerin hatte zugeben müssen, dass viel von dem Wissen über den Alltag der Steinzeitmenschen nicht auf gesicherten Erkenntnissen, sondern nur auf fundierten Vermutungen basiere. Da Susannah sich fragte, ob auch Rolands Antwort auf Vermutungen basierte, erkundigte sie sich danach.
»Das sind keine Vermutungen, aber ich kann’s auch nicht richtig erklären. Wenn es etwas mit Fühlungnahme zu tun hat, Susannah, ist sie jedenfalls nicht mit Jakes Art zu vergleichen. Nicht mit Sehen oder Hören, nicht einmal mit Träumen. Allerdings … glaubst du nicht auch, dass wir manchmal Träume haben, an die wir uns beim Aufwachen nicht mehr erinnern können?«
»Ja.« Sie überlegte kurz, ob sie ihm von schnellen Augenbewegungen und den REM-Schlafversuchen erzählen sollte, von denen sie in der Illustrierten Look gelesen hatte, gelangte aber zu dem Schluss, dass das alles zu kompliziert werden würde. Sie begnügte sich mit der Feststellung, dass man bestimmt Nacht für Nacht von Dingen träume, an die man sich morgens nicht mehr erinnern könne.
»Vielleicht sehe und höre ich ihn in solchen Träumen«, meinte Roland. »Ich weiß nur, dass er darum kämpft, mit uns Schritt halten zu können. Dabei weiß er so wenig über die Welt, dass es eigentlich ein Wunder ist, dass er überhaupt noch lebt.«
»Tut er dir Leid?«
»Nein. Ich kann mir kein Mitleid leisten, und du kannst’s auch nicht.«
Aber er wich ihrem Blick aus, während er das sagte, weshalb sie glaubte, dass er log. Vielleicht wollte er kein Mitleid mit Mordred haben, aber sie war sich sicher, dass er doch welches empfand, zumindest ein wenig. Vielleicht wollte er hoffen, dass Mordred bei ihrer Verfolgung umkam – dazu gab es reichlich Gelegenheit, vor allem durch Erfrieren –, aber Susannah glaubte, dass Roland nicht ganz dazu imstande war. Sie hatten dem Ka vielleicht ein Schnippchen geschlagen, aber Blut war ihrer Ansicht nach noch immer dicker als Wasser.
Es gab da jedoch etwas anderes, was noch mächtiger als sogar Blutsbande war. Das wusste sie, weil sie es jetzt ständig in ihrem Kopf pulsieren spürte, schlafend wie wachend. Es war der Dunkle Turm. Sie vermutete, dass sie ihm bereits sehr nahe waren. Sie konnte sich noch keine Vorstellung machen, was sie mit seinem wahnsinnigen Hüter anfangen würden, sobald sie den Turm erreichten, aber sie merkte, dass ihr das jetzt egal war. Im Augenblick wollte sie ihn nur sehen. Wie es sein würde, ihn zu betreten, ging weiterhin über ihr Vorstellungsvermögen hinaus, aber ihn sehen? Ja, das konnte sie sich vorstellen. Und sie glaubte, ihn zu sehen würde auch genügen.
2
Sie zogen langsam über das sanft abfallende riesige Schneefeld immer tiefer, wobei Oy abwechselnd neben Roland hertrabte und sich dann zurückfallen ließ, damit er nach Susannah sehen konnte, um sogleich mit großen Sätzen zu Roland zurückzukehren. Wolkenlöcher über ihnen ließen manchmal große Stücke Himmelsblau sehen. Roland wusste, dass dort der Balken am Werk war und die Wolkendecke stetig nach Südosten zog. Sonst war der Himmel von Horizont zu Horizont weiß und machte irgendwie einen bedrückend vollen Eindruck, was inzwischen beide so empfanden. Es würde bald wieder schneien, und der Revolvermann hatte das Gefühl, dass der nahende Sturm schlimmer als alle bisherigen werden könnte. Der Wind frischte auf, und die Feuchtigkeit, die er mitbrachte, betäubte alle unbedeckten Hautpartien (nach drei Wochen eifriger Näharbeit waren das allerdings nur Stirn und Nasenspitze). Die Windstöße wirbelten lange, durchscheinende Schneeschleier auf, die an ihnen vorbeirasten, um dann wie phantastische, ihre Gestalt
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