Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
herrschte in seinem Bad mit Toilette eine angenehm feminine Atmosphäre vor. Das war Susannah schon aufgefallen, als sie zum ersten Mal auf dem Klo gewesen war. Die Tapete war pink mit grünen Blattranken und – was sonst? – wilden Rosen. Die Toilette selbst war durchaus modern bis auf den Klositz, der nicht aus Kunststoff, sondern aus Holz war. Hatte er ihn selbst geschnitzt? Das war gut denkbar, wie sie fand, aber vermutlich hatte der Roboter den Sitz aus irgendeinem vergessenen Lager mitgebracht. Stotter-Carl? Hatte Joe den Roboter so genannt? Nein, Bill. Stotter-Bill.
Auf einer Seite der Toilette stand ein Hocker, auf der anderen eine Wanne auf Klauenfüßen. Die Wanne war mit einer Duschvorrichtung versehen, die sie an Hitchcocks Psycho denken ließ (andererseits erinnerte jede Dusche sie an diesen verdammten Film, seit sie ihn am Times Square gesehen hatte). Außerdem gab es ein Porzellanwaschbecken mit einem hüfthohen Holzunterschrank – kein Eisenholz, sondern gute alte Eiche massiv, schätzte sie. Darüber war ein Spiegel angebracht. Sie vermutete, dass man ihn herausschwenken konnte und dann seine Pillen und Tinkturen vor sich hatte. Aller häusliche Komfort eben.
Beim Entfernen der Serviette verzog Susannah das Gesicht und stieß einen kleinen fauchenden Schrei aus. Das Gewebe war in dem gerinnenden Blut festgeklebt, weshalb das Losreißen nicht wenig wehtat. Das viele Blut an Wange, Lippen und Kinn erschreckte sie – von dem vom Hals bis zur Schulter hinunter ganz zu schweigen. Sie ermahnte sich, nicht gleich durchzudrehen; wenn man eine verkrustete Wunde aufriss, blutete sie natürlich, das war alles. Vor allem, wenn man sie in seinem dummen Gesicht hatte.
Im anderen Raum hörte sie Joe etwas sagen, was nicht ganz zu verstehen war, und dann Rolands Antwort: ein paar undeutliche Worte mit einem angehängten kleinen Lachen. Eigenartig, ihn so reden zu hören, dachte sie. Fast als wäre er betrunken. Hatte sie Roland jemals betrunken erlebt? Niemals sturzbetrunken, niemals wehrlos nackt, niemals hemmungslos lachend … bis heute.
Kümmre dich um deinen eigenen Kram, Weib, ermahnte Detta sie.
»Schon gut«, murmelte sie. »Schon gut, schon gut.«
Betrunken denkend. Wehrlos nackt denkend. Mit hemmungslosem Lachen denkend. Als wäre das alles das Gleiche.
Vielleicht war es alles das Gleiche.
Schließlich kletterte sie auf den Hocker und drehte das Wasser auf. Es rauschte aus dem Hahn und übertönte die Geräusche von nebenan.
Sie entschied sich für kaltes Wasser, bespritzte ihr Gesicht sanft damit und benutzte dann einen Waschlappen – noch sanfter –, um die Haut um das Geschwür herum zu säubern. Als sie damit fertig war, tupfte sie das Geschwür selbst ab. Es tat weniger weh, als sie befürchtet hatte, was ihr wieder etwas Mut machte. Susannah spülte den Waschlappen aus, bevor die Blutflecken sich festsetzen konnten, und beugte sich anschließend dicht an den Spiegel heran. Was sie darin sah, ließ sie erleichtert aufatmen. Als sie die Hände unbedacht vors Gesicht geschlagen hatte, hatte sie den ganzen Schorf von dem Geschwür abgerissen, aber das konnte sich möglicherweise noch als glücklicher Zufall erweisen. Eines stand jedoch fest: Falls Joe ein Fläschchen Jodtinktur oder irgendeine antibiotische Salbe in seinem Medizinschrank hatte, würde sie das verdammte Ding gründlich säubern, solange es offen war. Ohne Rücksicht darauf, wie sehr es brennen mochte. Eine Säuberung war fällig, sogar überfällig. Anschließend würde sie ein Pflaster drüberkleben und das Beste hoffen.
Sie legte den Waschlappen über den Rand des Waschbeckens, damit er trocknen konnte, und pflückte dann ein Handtuch (im selben Pink wie die Tapete) von dem flauschigen Stapel auf dem Wandregal neben dem Spiegelschrank. Sie hob es halb an ihr Gesicht, dann erstarrte sie. Auf dem nächsten Handtuch des Stapels lag ein Blatt Notizpapier. Die Kopfzeile zeigte eine mit Blumen geschmückte Bank, die von zwei fröhlichen gezeichneten Engeln herabgelassen wurde. Darunter stand in fetten Buchstaben folgende Zeile:
ENTSPANN DICH! HIER KOMMT DER
DEUS EX MACHINA !
Und in verblasster Füllfederschrift:
Odd’s Lane
Odd Lane
Dreh dies erst um, wenn du darüber nachgedacht hast.
Stirnrunzelnd nahm Susannah das Blatt vom Handtuchstapel. Wer hatte es hier zurückgelassen? Joe? Das bezweifelte sie gewaltig. Sie drehte das Blatt um. Auf der Rückseite stand in derselben Schrift:
Du hast
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