Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Roland. Seine Stimme klang atemlos. Schwach. Vor Lachen, wie Susannah annahm. Oh, aber ihre linke Gesichtshälfte schmerzte, und …
Joe öffnete die Augen und wirkte ärgerlich. »Was denn? Herrgott, ihr wolltet’s hören, und ich hab’s euch gegeben!«
»Susannah hat sich verletzt.« Der Revolvermann war aufgestanden und betrachtete ihr Gesicht. Sein hemmungsloses Lachen war Besorgnis gewichen.
»Ich bin nicht verletzt, Roland, ich hab mir nur die Hände etwas fester vors Gesicht geschlagen, als ich …« Dann sah sie ihre Hand an und stellte erschrocken fest, dass sie einen roten Handschuh trug.
9
Oy kläffte noch einmal. Roland schnappte sich die Serviette, die neben seiner umgekippten Kaffeetasse lag. Ein Ende war vom Kaffee braun und feucht, aber das andere war trocken. Er drückte es auf das heftig blutende Geschwür, und Susannah musste im ersten Augenblick vor der Berührung zurückzucken. Ihre Augen füllten sich unwillkürlich mit Tränen.
»Nay, ich muss dafür sorgen, dass die Blutung aufhört«, murmelte Roland. Er hielt ihren Kopf fest, wobei er sanft in die dichte Kappe ihrer Locken griff. »Halt still.« Und für ihn schaffte sie es auch, das zu tun.
Soweit Susannah mit tränenden Augen erkennen konnte, war Joe anscheinend noch immer sauer, dass sie seinen Auftritt als Komiker auf so drastische Art und Weise (von besudelnd ganz zu schweigen) unterbrochen hatte, und sie konnte ihm das in gewisser Weise nicht verübeln. Er hatte sich aufrichtig Mühe gegeben; dann war sie gekommen und hatte ihm alles vermasselt. Abgesehen von den Schmerzen, die jetzt etwas nachließen, war sie schrecklich verlegen, weil die ganze Szene sie daran erinnerte, wie sie ihre erste Periode ausgerechnet im Turnunterricht bekommen hatte, wobei ihr ein kleines Rinnsal aus Blut für alle Welt sichtbar – zumindest für die, mit der sie in der dritten Stunde Turnen hatte – den Oberschenkel hinuntergelaufen war. Einige der Mädchen hatten angefangen, im Chor Stöpsel rein! zu rufen, als wäre das die komischste Sache der Welt.
In diese Erinnerung mischte sich die Besorgnis wegen des Geschwürs selbst. Was war, wenn es ein bösartiger Tumor war? Bisher hatte sie diesen Gedanken stets erfolgreich verdrängt, bevor er sich in ihrem Verstand ganz herausbilden konnte. Diesmal gelang ihr das nicht. Was war, wenn sie dämlich genug gewesen war, sich auf ihrer Wanderung durchs Ödland ein Krebsgeschwür zu holen?
Ihr Magen verkrampfte sich, dann hob er sich. Ihr gutes Abendessen blieb zwar unten, aber möglicherweise nur vorläufig.
Plötzlich wollte sie allein sein, musste unbedingt allein sein. Falls sie sich übergeben musste, wollte sie das nicht vor Roland und diesem Fremden tun. Und auch wenn sie’s nicht musste, wollte sie für einen Augenblick allein sein, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Ein Windstoß, der heftig genug war, um das ganze Häuschen erzittern zu lassen, röhrte wie eine »heiße Lok« in voller Fahrt vorbei; das Licht flackerte, und ihr Magen verkrampfte sich erneut, weil die Schatten nun auf seekrank machende Weise über die Wände tanzten.
»Ich muss … auf die Toilette …«, brachte sie heraus. Die Welt schwankte noch einen Augenblick lang, aber dann beruhigte sie sich wieder. In dem offenen Kamin explodierte ein Astknoten und jagte einen Schauer von hellroten Funken in den Schornstein hinauf.
»Bestimmt?«, fragte Joe. Er war nicht mehr wütend (falls er das je gewesen war), aber er betrachtete sie zweifelnd.
»Lasst sie gehen«, sagte Roland. »Sie muss sich wieder beruhigen, glaube ich.«
Susannah wollte ihn dankbar anlächeln, aber das bewirkte nur, dass das aufgeplatzte Geschwür schmerzte und auch wieder zu bluten begann. Sie wusste nicht, was sich dank des dämlichen, nicht heilen wollenden Geschwürs in unmittelbarer Zukunft noch alles ändern würde, aber sie wusste, dass sie in nächster Zeit keine Witze mehr hören wollte. Wenn sie weiterhin lachte, würde sie bald eine Bluttransfusion brauchen.
»Bin gleich wieder da«, sagte sie. »Traut euch bloß nicht, mir den ganzen Pudding wegzuessen, Jungs.« Allein bei dem Gedanken an Essen wurde ihr schlecht, aber sie hatte irgendetwas sagen müssen.
»Was den Pudding betrifft, kann ich nichts versprechen«, sagte Roland. Und als sie sich abwandte, fügte er hinzu: »Ruf mich, falls du dich schwindlig fühlst.«
»Wird gemacht«, sagte sie. »Danke, Roland.«
10
Obwohl Joe Collins allein lebte,
Weitere Kostenlose Bücher