Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
wissen, wie viele Jahre du zurechtgekommen bist, ohne auch nur zu wissen, dass es solche Dinger gibt; also wirst du es wohl auch für den Rest dieses einen Tages aushalten. Vielleicht wird es zu einem späteren Zeitpunkt etwas geben, was du zeichnen sollst – um es dann möglicherweise wieder auszulöschen. Du weißt, was ich meine, Patrick?«
Das tat Patrick zwar nicht, aber sobald der Radiergummi wieder sicher in der Brusttasche mit Rolands Uhr versorgt war, schien er ihn einfach zu vergessen und wandte sich wieder seiner Zeichnung zu.
»Leg auch dein Bild eine Weile beiseite«, forderte Roland ihn nun auf.
Patrick gehorchte, ohne widersprechen zu wollen. Er zeigte erst auf den Karren und dann auf die Tower Road, wobei er seinen trompetenden Fragelaut von sich gab.
»Aye«, sagte Roland, »aber zuvor sollten wir nachsehen, was Mordred an Gunna dabeihatte – vielleicht findet sich etwas Nützliches darunter –, und unseren Freund begraben. Willst du mithelfen, Oy zu begraben, Patrick?«
Dazu war Patrick bereit, und das Begräbnis kurz darauf dauerte nicht lange; der Körper des Billy-Bumblers war viel kleiner als das Herz, das in ihm geschlagen hatte. Am späten Vormittag waren sie bereits unterwegs, um die letzten Meilen der zum Dunklen Turm führenden langen Straße zurückzulegen.
Kapitel III
D ER S CHARLACHROTE K ÖNIG UND DER D UNKLE T URM
1
Die Straße und ebenso die Erzählung sind lang gewesen, findet ihr nicht auch? Die Reise war lang, und der Preis war hoch … aber nichts Großes ist jemals mühelos erreicht worden. Eine lange Erzählung muss wie ein hoher Turm Stein für Stein erbaut werden. Nun jedoch, wo das Ende näher rückt, müsst ihr jene beiden Reisenden, die zu Fuß auf uns zukommen, sehr aufmerksam betrachten. Der ältere Mann – derjenige mit dem sonnengebräunten, von Falten durchzogenen Gesicht und dem Revolver an der Hüfte – zieht den Karren, den sie Ho Fat II nennen. Der Jüngere – jener mit dem übergroßen Zeichenblock, den er unter den Arm geklemmt trägt und der ihn wie einen Kunststudenten aus früheren Tagen aussehen lässt – geht neben ihm her. Sie marschieren einen langen, sanft ansteigenden Hügel hinauf, der sich nicht sonderlich von hunderten von anderen unterscheidet, die sie schon erstiegen haben. Die überwachsene Straße, der sie folgen, wird auf beiden Seiten von den Überresten von Steinmauern gesäumt; zwischen den Haufen aus Natursteinen, wo Mauerteile eingestürzt sind, wachsen in reizendem Überfluss wilde Rosen. In dem offenen, mit Buschwerk gesprenkelten Land jenseits dieser eingestürzten Mauern stehen eigentümliche Steinbauten. Manche sehen wie Schlossruinen aus; andere erinnern an ägyptische Obelisken; einige wenige sind offensichtlich Sprechende Ringe von der Art, in denen sich Dämonen beschwören lassen; eine der uralten Ruinen sieht mit ihren Steinsäulen und Säulenplatten sogar wie Stonehenge aus. Man erwartet fast, im Mittelpunkt dieses großen Kreises Druiden zu sehen, die möglicherweise dabei sind, irgendwelche Runen zu deuten, aber die Hüter dieser Monumente, jener Vorgänger des Großen Monuments, sind längst nicht mehr. Wo sie einst gebetet haben, weiden nur noch kleine Bannockherden.
Kümmert euch nicht darum. Gegen Ende unserer langen Reise sind wir nicht hier, um alte Ruinen zu betrachten, sondern den alten Revolvermann, wie er den Karren zieht. Wir stehen auf dem Kamm des Hügels und warten, während er auf uns zukommt. Er kommt. Und kommt. Unerbittlich wie immer, ein Mann, der stets die Sprache des Landes lernt (zumindest in Grundzügen), das er bereist, und dessen Gebräuche achtet; er ist noch immer ein Mann, der in fremden Hotelzimmern Bilder gerade rücken würde. Viel an ihm hat sich verändert, aber das nicht. Als er jetzt den Hügelkamm erreicht, ist er uns so nahe, dass wir den sauren Geruch seines Schweißes riechen können. Er sieht auf: ein kurzer, unwillkürlicher Blick nach vorn, dann nach rechts und links, sobald er irgendeinen Hügel überschreitet – Immer schön das Gelände vor euch beurteilen, so lautete Corts Merksatz, und der letzte seiner Schüler beherzigt ihn noch heute. Er blickt ohne sonderliches Interesse auf, sieht nach unten … und bleibt stehen. Nachdem er einen Augenblick lang den rissigen, mit Unkraut überwachsenen Straßenbelag angestarrt hat, hebt er den Kopf wieder, diesmal langsamer. Sehr viel langsamer. So als fürchtete er sich davor, was er gesehen zu haben glaubt.
Und hier
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