Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
schloss die Augen, um den Pelz unter den Händen besser spüren zu können. »Tut mir Leid, dass ich so mit dir gesprochen habe – ich würde die Finger meiner gesunden Linken dafür geben, wenn ich die Worte zurücknehmen könnte. Das täte ich, jeden einzelnen, gewisslich wahr.«
Aber wie in der Fundamentalen Welt lief die Zeit hier nur in einer Richtung. Was geschehen war, war geschehen. Nichts ließ sich ungeschehen machen.
Roland hätte behauptet, zu keinem Zorn mehr imstande zu sein, weil er restlos ausgebrannt sei, aber als er nun ein Kribbeln auf der ganzen Haut spürte und schließlich auch merkte, woher es kam, fühlte er neuen Zorn in sich aufsteigen.
Patrick zeichnete ihn! Saß unter der Pappel, als wäre an ebendiesem Baum nicht ein tapferes kleines Wesen, das zehnmal wertvoller war als er – nein, hundertmal mehr! – gestorben, für sie beide gestorben.
Das ist eben seine Art, sagte Susannah ruhig und sanft in den Tiefen seines Verstandes. Das ist alles, was er hat, alles andere ist ihm genommen worden – seine Heimatwelt ebenso wie seine Mutter und seine Zunge und was er an Verstand besessen haben mag. Auch er trauert, Roland. Auch er hat Angst. Nur so kann er etwas Trost finden.
Alles zweifellos wahr. In Wirklichkeit steigerte diese Wahrheit seinen Zorn jedoch, statt ihn zu dämpfen. Roland legte den verbliebenen Revolver beiseite (er lag glänzend zwischen zweien der singenden Rosen), weil er ihn lieber nicht griffbereit haben wollte, jedenfalls nicht in seiner gegenwärtigen Stimmung. Dann stand er auf, um Patrick auszuzanken, wie dieser sein Leben lang noch nicht ausgeschimpft worden war – aus keinem anderen Grund, als dass er sich danach etwas besser fühlen würde. Er konnte bereits seine ersten Worte hören. Dir macht’s wohl Spaß, die zu zeichnen, die dir dein wertloses Leben gerettet haben, du dämlicher Knabe? Du kannst dir wohl nichts Schöneres vorstellen.
Als er den Mund öffnete, um anzufangen, legte Patrick den Bleistift weg und griff stattdessen nach seinem neuen Spielzeug. Der Radiergummi war bereits halb aufgebraucht, und Ersatz gab es keinen; Susannah hatte nämlich nicht nur Rolands anderen Revolver, sondern auch die kleinen rosa Gummidinger mitgenommen – vermutlich aus keinem anderen Grund, als dass sie das Glas in der Tasche gehabt, gegenwärtig aber an wichtigere Dinge zu denken gehabt hatte. Patrick hielt den Radiergummi über die Zeichnung, blickte dann auf – vielleicht um sich zu vergewissern, dass er wirklich etwas ausradieren wollte – und sah den Revolvermann im Bachbett stehen, wie dieser ihn stirnrunzelnd betrachtete. Obwohl er sich den Grund dafür vermutlich nicht erklären konnte, wusste Patrick sofort, dass Roland zornig war, und seine Gesichtszüge verkrampften sich augenblicklich vor Angst und Traurigkeit. Roland sah ihn jetzt, wie Dandelo ihn unzählige Male gesehen haben musste, und sein Zorn verflog bei diesem Gedanken im Nu. Er würde Patrick keinen Grund geben, ihn zu fürchten – wenn schon nicht um seiner selbst willen, würde er ihm um Susannahs willen keinen Grund dafür geben.
Aber er entdeckte schließlich, dass er es doch um seiner selbst willen tat.
Warum erschießt du ihn dann nicht?, fragte die listige, pulsierende Stimme in seinem Kopf. Willst du ihn nicht lieber erschießen und von seinen Qualen erlösen, wenn du so zärtliche Gefühle für ihn hegst? Er und der Bumbler können die Lichtung gemeinsam betreten. Sie können dir dort einen Platz reservieren, Revolvermann.
Roland schüttelte den Kopf und versuchte, sich ein Lächeln abzuringen. »Nay, Patrick, Sohn der Sonia«, sagte er (so hatte Bill der Roboter den Jungen angesprochen). »Nay, ich hatte Unrecht – wieder einmal – und werde dich nicht schelten. Aber …«
Er kam auf den Baum zu, unter dem der Junge saß. Patrick wich mit einem hündischen, besänftigenden Lächeln, das Roland gleich wieder wütend machte, vor ihm zurück, aber diese Gefühlsregung unterdrückte der Revolvermann ohne größere Mühe. Patrick, der Oy ebenfalls geliebt hatte, konnte seine Trauer eben nur auf diese Weise verarbeiten.
Das kümmerte Roland jetzt nicht mehr.
Er beugte sich hinunter und nahm dem Jungen behutsam den Radiergummi aus den Fingern. Patrick sah fragend zu ihm auf, dann streckte er die Hand aus und bat mit Blicken darum, Roland solle ihm sein wundervolles (und nützliches) neues Spielzeug zurückgeben.
»Nay«, sagte Roland, so sanft er konnte. »Die Götter mögen
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