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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Situation plötzlich begriffen. Er sah nicht alles, was Roland aufgrund seiner Ausbildung mit Schmerz und Präzision sehen konnte, aber er konnte die Gesichter der Stewardessen sehen – die wahren Gesichter, diejenigen hinter dem Lächeln und dem hilfreichen Weitergeben von Handgepäck und Kartons, die im vorderen Spind verstaut worden waren. Er konnte sehen, wie ihre Blicke auf ihn fielen, immer wieder, schnell wie Peitschenschläge.
    Er nahm seine Tasche. Er nahm sein Jackett. Die Tür zum Jetway war geöffnet worden, die Passagiere bewegten sich bereits den Gang entlang. Die Tür zum Cockpit war offen, und da stand der Kapitän, der ebenfalls lächelte… aber auch die Passagiere der ersten Klasse beobachtete, die immer noch ihre Sachen zusammensuchten; er erblickte ihn – nein, suchte ihn heraus – und sah wieder weg, nickte jemandem zu, wuschelte einem Kind das Haar.
    Jetzt war ihm kalt. Kein cold turkey, einfach nur kalt. Er brauchte die Stimme in seinem Kopf nicht, damit ihm kalt wurde. Kalt manchmal war das in Ordnung. Man mußte nur darauf achten, nicht so kalt zu werden, daß man erfror.
    Eddie ging nach vorne, erreichte die Stelle, wo er links zum Jetway gehen mußte – und dann legte er plötzlich die Hand vor den Mund.
    »Mir ist schlecht«, murmelte er. »Entschuldigen Sie bitte.« Er bewegte die Tür des Cockpits, die die zu der Ersten-Klasse-Toilette etwas versperrte, dann machte er die Tür des rechten Waschraums auf.
    »Ich fürchte, Sie müssen das Flugzeug verlassen«, sagte der Pilot heftig, als Eddie die Waschraumtür aufmachte. »Es ist…«
    »Ich glaube, ich muß mich übergeben, und das will ich nicht auf Ihre Schuhe tun«, sagte Eddie, »und auf meine auch nicht.«
    Eine Sekunde später war er drinnen und hatte die Tür verriegelt. Der Kapitän sagte etwas. Eddie konnte es nicht verstehen, wollte es nicht verstehen. Wichtig war, daß er nur redete und nicht rief. Er hatte recht gehabt, niemand würde anfangen zu schreien, solange noch zweihundertfünfzig Passagiere darauf warteten, das Flugzeug durch die vordere Tür zu verlassen. Er war drinnen, er war vorübergehend in Sicherheit… aber was nützte ihm das?
    Wenn sie da sind, dachte er, dann sollten sie besser etwas unternehmen, und zwar rasch, wer immer sie sein mögen.
    Einen schrecklichen Augenblick war überhaupt nichts. Es war ein kurzer Augenblick, aber in Eddie Deans Kopf schien er sich fast endlos zu dehnen, wie Bonomo’s türkischer Honig, den Henry ihm im Sommer manchmal gekauft hatte, als sie noch Kinder waren; war er böse, prügelte Henry ihn windelweich, war er gut, kaufte Henry ihm türkischen Honig. So handhabte Henry seine höhere Verantwortung während der Sommerferien.
    Gott, o Heiland, ich habe mir alles nur eingebildet, mein Gott, wie konnte ich nur so verrückt s…
    Mach dich bereit, sagte eine grimmige Stimme, ich kann es nicht alleine machen. Ich kann NACH VORNE kommen, aber ich kann dich nicht HINDURCH BRINGEN. Du mußt mir dabei helfen. Dreh dich um.
    Plötzlich sah Eddie durch zwei Augenpaare, fühlte mit zwei Nervensystemen (aber nicht alle Nerven dieser anderen Person waren da; Teile des anderen waren weg, erst kurze Zeit weg, und schrien vor Schmerzen), nahm mit zehn Sinnen wahr, dachte mit zwei Gehirnen, und sein Blut schlug durch zwei Herzen.
    Er drehte sich herum. An der Seite des Waschraums war ein Loch, ein Loch, das wie eine Tür aussah. Er konnte einen grauen, körnigen Strand dahinter sehen und Wellen von der Farbe alter Turnersocken, die sich daran brachen.
    Er konnte die Wellen hören.
    Er konnte das Salz riechen, ein Geruch, der so bitter wie Tränen in seiner Nase war.
    Geh durch.
    Jemand klopfte an die Tür des Waschraums und sagte ihm, daß er das Flugzeug sofort verlassen mußte.
    Geh durch, verdammt!
    Eddie ging stöhnend auf die Tür zu… stolperte… und fiel in eine andere Welt.
     
     

13
     
    Er stand langsam auf und stellte fest, daß er sich die rechte Hand an einer Muschelschale aufgeschnitten hatte. Er betrachtete dümmlich das Blut, das über seine Lebenslinie rann, dann sah er einen anderen Mann rechts von sich, der sich langsam auf die Beine erhob.
    Eddie schreckte zurück, sein Gefühl der Desorientierung und der verträumten Verwirrung wurde plötzlich von heftigem Entsetzen verdrängt; dieser Mann war tot und wußte es nur noch nicht. Sein Gesicht war hager, die Haut spannte über den Knochen seines Gesichts wie Stoffstreifen, die über Gelenke aus Metall gespannt

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