Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
brauchen, stellte er fest, daß er es mühelos konnte.
»Und was möchtest du tun?« fragte Roland, und seine Stimme klang fern in seinen Ohren. Er war krank und voller Fieber, aber augenblicklich fühlte er sich von einem völlig andersgearteten Fieber überkommen, das er nur zu gut kannte. Es war das Fieber, das ihn auch in Tull überkommen hatte. Es war das Kampfesfeuer, das alle Gedanken verdrängte und lediglich das Bedürfnis zurückließ, mit dem Denken aufzuhören und mit dem Schießen anzufangen.
»Ich will Krieg«, sagte Eddie Dean leise.
»Du weißt nicht, wovon du sprichst«, sagte Roland, »aber du wirst es herausfinden. Wenn wir durch die Tür gehen, gehst du nach rechts. Ich muß nach links. Meine Hand.«
Eddie nickte. Sie zogen in ihren Krieg.
22
Balazar hatte Eddie oder Andolini erwartet oder beide. Er hatte nicht Eddie und einen vollkommen Fremden erwartet, einen großen Mann mit grauschwarzem Haar und einem Gesicht, das aussah, als wäre es von einem ungestümen Gott aus störrischem Stein gemeißelt worden. Er war einen Augenblick nicht sicher, auf wen er schießen sollte.
‘Cimi freilich hatte derlei Probleme nicht. Da Boss war wütend auf Eddie. Daher würde er zuerst Eddies Licht auspusten und sich dann über den anderen cazzarro Gedanken machen. ‘Cimi drehte sich behäbig zu Eddie und betätigte den Abzug seiner Automatik dreimal. Die Hülsen schnellten heraus und glitzerten in der Luft. Eddie sah, wie sich der große Mann drehte, und schlitterte wie von Sinnen über den Boden, er sauste dahin wie ein Junge bei einem Discowettbewerb, ein so aufgekratzter Junge, daß er gar nicht bemerkte, daß er sein gesamtes John-Travolta-Outfit, einschließlich Unterwäsche, vergessen hatte; er sauste mit wackelndem Schniepel auf den bloßen Knien, die erst warm wurden und dann durch die Reibungshitze verbrannten. Direkt über ihm bohrten sich Löcher in Plastik, das wie knorriges Kiefernholz aussehen sollte. Splitter regneten auf seine Schultern und in sein Haar.
Lieber Gott, laß mich nicht nackt und ohne einen Schuß sterben, betete er und wußte, daß so ein Gebet mehr als blasphemisch war; es war absurd. Trotzdem konnte er nicht aufhören. Ich werde sterben, aber bitte, laß mich nur noch einen einzigen…
Der Revolver in der linken Hand des Revolvermanns knallte. Am Strand war er laut gewesen; hier war er ohrenbetäubend.
»Mein Gott!« kreischte ‘Cimi Dretto mit erstickter, schnaufender Stimme. Es war ein Wunder, daß er überhaupt noch schreien konnte. Seine Brust senkte sich plötzlich nach innen, als hätte jemand mit einem Vorschlaghammer auf ein Faß geschlagen. Sein weißes Hemd wurde an verschiedenen Stellen rot, als würden Blumen darauf erblühen. »Mein Gott! Mein Gott! Mein G…«
Claudio Andolini schob ihn beiseite. ‘Cimi fiel polternd um. Zwei der gerahmten Bilder an Balazars Wand fielen krachend herunter. Dasjenige, das Da Boss zeigte, wie er einem grinsenden Jungen der Police Athletic League die Trophäe für den Sportler des Jahres überreichte, landete auf ‘Cimis Kopf. Glasscherben regneten ihm auf die Schultern.
»Mein Gott«, flüsterte er mit versagender, leiser Stimme; Blut blubberte über seine Lippen.
Tricks und einer der Männer, die im Lagerraum gewartet hatten, folgten Claudio. Claudio hatte in jeder Hand eine Automatik; der Mann aus dem Lagerraum hatte eine Remington-Schrotflinte, deren Lauf so knapp abgesägt war, daß sie wie ein Derringer mit Mumps aussah; Tricks Postino hatte seine, wie er sie nannte, ›wunderbare Rambo-Maschine‹ bei sich – ein Schnellfeuergewehr M 16.
»Wo ist mein Bruder, du verdammter Nadelfreak?« schrie Claudio. »Was hast du mit Jack gemacht?« Die Antwort schien ihn nicht besonders zu interessieren, denn er fing, noch während er schrie, mit beiden Waffen an zu feuern. Ich bin ein toter Mann, dachte Eddie, und dann feuerte Roland erneut. Claudio Andolini wurde in einer Wolke seines eigenen Blutes nach hinten geschleudert. Die Automatiks flogen ihm aus den Händen und schlitterten über Balazars Schreibtisch. Sie fielen inmitten flatternder Spielkarten polternd auf den Teppich. Claudios Eingeweide prallten größtenteils eine Sekunde, bevor Claudio ihnen folgen konnte, gegen die Wand.
»Erledigt ihn!« kreischte Balazar. »Erledigt das Gespenst! Der Junge ist nicht gefährlich! Er ist bloß ein nacktärschiger Junkie! Erledigt das Gespenst! Pustet ihn weg!«
Er betätigte zweimal den Abzug der 357er. Die
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