Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
vorherige Funktion spielte keine Rolle mehr. Eddie sah sich mit den großen, fassungslosen Augen eines Mannes um, der so etwas zum erstenmal sieht, aber Roland wußte, wie es aussah, und es sah immer gleich aus. Ob es sich um ein Schlachtfeld handelte, auf dem Tausende durch Kanonen, Gewehre, Schwerter und Hellebarden gestorben waren, oder um ein kleines Zimmer, in dem sich fünf oder sechs gegenseitig erschossen hatten, am Ende war es derselbe Ort, immer wieder derselbe Ort: ein weiteres Totenhaus, das nach Schießpulver und rohem Fleisch roch.
Abgesehen von ein paar Streben, war die Wand zwischen Büro und Badezimmer verschwunden. Überall funkelten Glasscherben. Teile der Wandtäfelung, die von Tricks Postinos fröhlichem, aber sinnlosem M 16-Feuerwerk zerfetzt worden war, hingen wie Hautfetzen herab.
Eddie hustete trocken. Jetzt konnte er andere Laute hören – Murmeln aufgeregter Unterhaltungen, rufende Stimmen vor der Bar, und in der Ferne das Heulen von Sirenen.
»Wie viele?« fragte der Revolvermann Eddie. »Können wir sie alle erwischt haben?«
»Ja, ich glaube…«
»Ich habe etwas für dich, Eddie«, sagte Kevin Blake durch die Tür aus dem Flur. »Ich dachte mir, du magst es vielleicht, zum Beispiel als Andenken, weißt du.« Was Balazar dem jüngeren Dean-Bruder nicht hatte antun können, hatte Kevin mit dem älteren gemacht. Er kickte Henry Deans abgeschnittenen Kopf durch die Tür.
Eddie sah, was es war, und schrie. Er lief zur Tür, ohne auf die Splitter und Scherben zu achten, die sich in seine bloßen Füße bohrten, er schrie und schoß und feuerte die letzte intakte Patrone in dem großen Revolver dabei ab.
»Nein, Eddie!« rief Roland, aber Eddie hörte ihn nicht. Eddie konnte nichts mehr hören.
In der sechsten Kammer war eine Lusche, aber da wußte er schon nichts anderes mehr als die Tatsache, daß Henry tot war.
Henry, sie hatten seinen Kopf abgeschnitten, ein elender Hurensohn hatte Henrys Kopf abgeschnitten, und dieser Hurensohn würde dafür bezahlen, o ja, darauf konnte er Gift nehmen.
Daher rannte er auf die Tür zu, betätigte immer wieder den Abzug, merkte nicht, daß nichts passierte, merkte nicht, daß seine Füße blutrot waren und Kevin Blake in den Türrahmen trat, um ihn in Empfang zu nehmen; er war niedergekauert und hatte eine Llama 38 in der Hand. Kevins rotes Haar stand in Locken und Wellen von seinem Kopf ab, und Kevin lächelte.
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Er wird geduckt sein, dachte der Revolvermann und wußte, er würde Glück brauchen, wenn er sein Ziel mit dieser unzuverlässigen kleinen Waffe überhaupt treffen wollte, selbst wenn er richtig geschätzt hatte.
Als ihm klar wurde, daß der Trick von Balazars Soldat Eddie herauslocken sollte, stützte sich Roland auf die Knie und hielt die linke Hand mit der rechten ruhig, wobei er grimmig das Kreischen der Schmerzen in der geballten Faust überhörte. Er hatte nur eine Chance. Die Schmerzen spielten keine Rolle.
Dann trat der Mann mit den roten Haaren lächelnd unter die Tür, und Rolands Gehirn war wie immer ausgeschaltet; sein Auge sah, seine Hand schoß, und plötzlich lag der Rothaarige mit offenen Augen und einem kleinen blauen Loch in der Stirn an der Wand des Flurs. Eddie stand über ihm und schrie und schluchzte, er feuerte den großen Revolver mit den Sandelholzgriffen immer wieder nutzlos ab, als könnte der Mann mit den roten Haaren niemals tot genug sein.
Der Revolvermann wartete auf das tödliche Kreuzfeuer, das Eddie in zwei Teile zerfetzen würde, und als das ausblieb, da wußte er, daß es wirklich vorbei war. Falls andere Soldaten da gewesen waren, so hatten sie die Beine in die Hand genommen.
Er erhob sich langsam auf die Beine, drehte sich um und ging zu der Stelle, wo Eddie Dean stand.
»Hör auf«, sagte er.
Eddie hörte nicht auf ihn und drückte weiter sinnlos mit dem leeren Revolver auf den toten Mann ab.
»Hör auf, Eddie, er ist tot. Sie sind alle tot. Deine Füße bluten.«
Eddie achtete nicht auf ihn und betätigte weiter den Abzug des Revolvers. Das Murmeln aufgeregter Stimmen draußen war lauter. Ebenso das Heulen der Sirenen.
Der Revolvermann griff nach dem Revolver und zog daran, und ehe Roland ganz sicher war, was geschah, schlug Eddie ihm mit seiner eigenen Waffe an den Kopf. Roland spürte warmes Blut fließen und taumelte gegen die Wand. Er bemühte sich, auf den Beinen zu bleiben – sie mußten schnellstens von hier verschwinden. Aber trotz seiner Anstrengung spürte er,
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