Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
wie sich die Welt vorübergehend in graue Nebelschwaden auflöste.
25
Er war weniger als zwei Minuten weg, dann gelang es ihm, seine Benommenheit abzuschütteln und aufzustehen. Eddie war nicht mehr im Flur. Rolands Revolver lag auf der Brust des toten rothaarigen Mannes. Der Revolvermann bückte sich, kämpfte gegen eine Woge des Schwindelgefühls, hob ihn auf und ließ ihn mit einer linkischen Bewegung vor dem Körper in den Halfter fallen.
Ich will meine verdammten Finger wiederhaben, dachte er müde und seufzte.
Er versuchte, in die Ruinen des Büros zurückzugehen, aber er brachte bestenfalls ein besseres Stolpern zustande. Er blieb stehen, bückte sich und hob sämtliche Kleidungsstücke von Eddie Dean auf, die er in der linken Armbeuge halten konnte. Das Heulen war jetzt fast vor der Tür. Roland vermutete, daß die Männer, die es erzeugten, wahrscheinlich Soldaten waren, die Truppe eines Marschalls, etwas Derartiges; aber es bestand immer die Möglichkeit, daß es weitere Männer von Balazar sein konnten.
»Eddie«, krächzte er. Sein Hals war wieder wund und pulsierte, sogar noch schlimmer als die Schwellung seitlich am Kopf, wo Eddie ihn mit dem Revolver geschlagen hatte.
Eddie bekam nichts mit. Eddie saß auf dem Boden und hatte den Kopf seines Bruders an den Bauch gedrückt. Er zitterte am ganzen Leib und schluchzte. Der Revolvermann sah nach der Tür, sah sie nicht und verspürte einen eisigen Schreck, der beinahe Entsetzen gleichkam. Dann fiel es ihm wieder ein. Da sie beide auf derselben Seite waren, konnte er die Tür nur erschaffen, indem er Körperkontakt mit Eddie herstellte.
Er streckte die Hand nach ihm aus, aber Eddie zuckte immer noch weinend zurück. »Faß mich nicht an«, sagte er.
»Eddie, es ist vorbei. Sie sind alle tot, und dein Bruder ist auch tot.«
»Laß meinen Bruder aus dem Spiel!« kreischte Eddie kindisch, und ein weiterer Schauer durchlief ihn. Er schmiegte den abgeschnittenen Kopf an die Brust und wiegte ihn. Er sah dem Revolvermann mit tränenden Augen ins Gesicht.
»Er hat sich die ganze Zeit um mich gekümmert, Mann«, sagte er, schluchzte aber so heftig, daß ihn der Revolvermann kaum verstehen konnte. »Immer. Warum konnte ich mich nicht dieses eine Mal um ihn kümmern, wo er sich doch ständig um mich gekümmert hat?«
Er hat sich wahrhaftig um dich gekümmert, dachte Roland grimmig. Schau dich doch an, du sitzt da und zitterst wie ein Mann, der einen Apfel vom Fieberbaum gegessen hat. Er hat sich prächtig um dich gekümmert.
»Wir müssen gehen.«
»Gehen?« Eddies Gesicht drückte zum erstenmal vages Verstehen aus, dem sofort Erschrecken folgte. »Ich gehe nicht weg. Besonders nicht dorthin, wo die großen Krebse – oder was das war Jack gefressen haben.«
Jemand hämmerte gegen die Tür und brüllte, daß man aufmachen sollte.
»Möchtest du hierbleiben und diese Leichen erklären?« fragte der Revolvermann.
»Mir egal«, sagte Eddie. »Ohne Henry ist alles egal. Alles.«
»Dir ist es vielleicht egal«, sagte Roland, »aber es geht auch noch um andere, Gefangener.«
»Nenn mich nicht so!« brüllte Eddie.
»Ich werde dich so lange so nennen, bis du mir bewiesen hast, daß du aus der Zelle herauskommen kannst, in der du dich befindest!« brüllte Roland zurück. Es tat seinem Hals weh, wenn er schrie, aber er schrie trotzdem. »Wirf dieses verwesende Stück Fleisch weg und hör auf zu jammern!«
Eddie sah ihn an, seine Wangen waren naß, die Augen groß und ängstlich.
»DAS IST IHRE LETZTE CHANCE!« sagte eine verstärkte Stimme von draußen. Für Eddie hörte sie sich unheimlich wie die Stimme eines Moderators in einer Quizsendung an. »DAS RÄUMKOMMANDO IST EINGETROFFEN – ICH WIEDERHOLE: DAS RÄUMKOMMANDO IST EINGETROFFEN!«
»Was wartet auf der anderen Seite der Tür auf mich?« fragte Eddie leise den Revolvermann. »Komm schon, sag es mir. Wenn du es mir sagen kannst, komme ich vielleicht mit. Aber ich werde wissen, wenn du lügst.«
»Möglicherweise der Tod«, sagte der Revolvermann. »Aber ich glaube, bis der eintritt, wirst du dich nicht langweilen. Ich möchte, daß du mich auf einer Suche begleitest. Selbstverständlich wird möglicherweise alles mit dem Tod enden – dem Tod für uns vier an einem fremden Ort. Aber falls wir gewinnen…«
Seine Augen glänzten. »Wenn wir gewinnen, Eddie, wirst du etwas sehen, was du dir in deinen Träumen nicht vorstellen konntest.«
»Was denn?«
»Den Dunklen Turm.«
»Wo ist
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