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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dieser Turm?«
    »Weit von dem Strand entfernt, wo du mich gefunden hast. Wie weit, weiß ich nicht.«
    »Was ist er?«
    »Auch das weiß ich nicht – nur, daß er eine Art von… von Riegel sein könnte. Eine zentrale Linse, die die gesamte Existenz zusammenhält. Alle Existenz, alle Zeit und alle Größe.«
    »Du hast gesagt vier. Wer sind die anderen zwei?«
    »Das weiß ich nicht. Sie wurden noch nicht auserwählt.«
    »So wie ich auserwählt wurde. Oder wie du mich gern auserwählen würdest.«
    »Ja.«
    Draußen erfolgte eine hustende Explosion wie von einer Werfergranate. Das Glas des Schaufensters vom Schiefen Turm barst einwärts. Die Bar füllte sich mit erstickenden Tränengasschwaden.
    »Nun?« fragte Roland. Er konnte Eddie packen, die Tür durch den Kontakt zum Erscheinen zwingen und sie beide hindurchstoßen. Aber er hatte gesehen, wie Eddie sein Leben für ihn riskiert hatte; er hatte gesehen, wie sich dieser gepeinigte Mann trotz seiner Sucht und der Tatsache, daß er gezwungen gewesen war, so nackt wie am Tag seiner Geburt zu kämpfen, mit aller Würde eines geborenen Revolvermanns geschlagen hatte, und er wollte, daß Eddie seine Entscheidung selbst traf.
    »Suchen, Abenteuer, Türme, Welten erobern«, sagte Eddie und lächelte ergeben. Keiner drehte sich um, als frische Tränengassalven in die Bar flogen und zischend auf dem Boden explodierten. Die ersten beißenden Dämpfe drangen in Balazars Büro. »Hört sich besser an als viele dieser Edgar Rice Burroughs-Bücher vom Mars, aus denen mir Henry manchmal vorgelesen hat, als wir noch Kinder waren. Du hast nur eines vergessen.«
    »Das wäre?«
    »Die wunderschönen barbusigen Mädchen.«
    Der Revolvermann lächelte. »Auf dem Weg zum Dunklen Turm«, sagte er, »ist alles möglich.«
    Ein weiterer Schauer schüttelte Eddies Körper. Er hob Henrys Kopf, küßte eine kalte, aschfahle Wange, dann legte er das blutige Relikt sanft beiseite. Er stand auf.
    »Okay«, sagte er. »Ich hatte für heute abend sowieso nichts anderes vor.«
    »Nimm das«, sagte Roland und hielt ihm die Kleidung hin. »Zieh dir wenigstens die Schuhe an. Du hast dir die Füße aufgeschnitten.«
    Draußen auf dem Gehweg schlugen zwei Polizisten mit Plexiglashelmen, Fliegerjacken und kugelsicheren Westen die Tür des Schiefen Turms ein. Im Badezimmer reichte Eddie – der Unterhosen und Turnschuhe und sonst nichts anhatte – Roland die Musterpackungen Keflex eine nach der anderen, und Roland steckte sie in die Taschen von Eddies Jeans. Als sie alle sicher verstaut waren, legte Roland Eddie wieder den rechten Arm um die Schultern, und Eddie ergriff wieder Rolands linke Hand. Plötzlich war die Tür wieder da, ein dunkles Rechteck. Eddie spürte, wie ihm der Wind jener anderen Welt das schweißnasse Haar aus der Stirn wehte. Er hörte die Wellen ans Ufer branden. Er nahm den Geruch von saurem Meersalz wahr. Und trotz allem, trotz seiner Schmerzen und dem Kummer, wollte er plötzlich diesen Dunklen Turm sehen, von dem Roland gesprochen hatte. Er wollte ihn von ganzem Herzen sehen. Und da Henry tot war, was blieb ihm in dieser Welt noch? Ihre Eltern waren tot, und seit er vor drei Jahren so richtig mit dem Drücken angefangen hatte, hatte es keine feste Freundin mehr gegeben – nur eine ständige Parade von Schlampen, Fixerinnen und Schnupferinnen. Keine normal. Scheiß drauf.
    Sie traten durch, und Eddie ging sogar ein wenig voraus.
    Auf der anderen Seite überfielen ihn plötzlich neuerliche Schauer und schmerzende Muskelkrämpfe – die ersten Symptome eines ernsten Heroinentzugs. Und damit verbunden kamen ihm auch seine ersten ernsten Zweifel.
    »Warte!« rief er. »Ich muß noch einen Augenblick zurück! Sein Schreibtisch! Sein Schreibtisch, oder im anderen Büro! Der Stoff! Wenn sie Henry einen Schuß gegeben haben, muß Stoff da sein! Heroin! Ich brauche es! Ich brauche es!«
    Er sah den Revolvermann flehend an, aber dessen Gesicht war steinern.
    »Dieser Teil deines Lebens ist vorbei, Eddie«, sagte er. Er streckte die linke Hand aus.
    »Nein!« schrie Eddie und krallte nach ihm. »Nein, das verstehst du nicht, Mann, ich brauche es! ICH BRAUCHE ES!«
    Er hätte sich ebensogut in einen Stein krallen können.
    Der Revolvermann schlug die Tür zu.
    Sie gab einen dumpfen, pochenden Laut von sich, der etwas ungemein Endgültiges hatte, und fiel auf den Sand. An den Rändern stob ein wenig Staub hoch. Nichts war mehr hinter der Tür, und es war kein Wort mehr darauf geschrieben.

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