Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
leise hörte er jemanden – das Mädchen, das ihn geküsst hatte, glaubte er – Alles Gute! rufen, dann verstummte auch dieses Geräusch. Donnerschlag war fort, das Devar-Toi und die Dunkelheit ebenfalls. Sie waren auf der Amerika-Seite, auf dem Parkplatz des Gebäudes, zu dem Rolands Erinnerung und Sheemies Gedankenkraft – durch die der anderen vier Brecher verstärkt – sie teleportiert hatten. Es war der East Stoneham General Store, vor dem Roland und Eddie von Jack Andolini überfallen worden waren. Falls nicht irgendein schrecklicher Irrtum passiert war, war das jedoch vor zweiundzwanzig Jahren gewesen. Heute war der 19. Juni 1999, und die Reklameuhr im Schaufenster (ES IST IMMER ZEIT FÜR FLEISCHWARE VON BOAR’S HEAD! stand im Kreis um das Zifferblatt) zeigte 15.41 Uhr an.
Die Zeit war fast abgelaufen.
T EIL D REI
IN D IESEM D UNST
A US G RÜN U ND G OLD
VES’-KA GAN
Kapitel I
M RS . T ASSENBAUM FÄHRT NACH S ÜDEN
1
Über die Tatsache, dass seine Hände fast überirdisch schnell waren, hatte Jake Chambers nie nachgedacht. Er wusste nur, dass sein Hemd – durch Oys Gewicht wie schwanger ausgebeult – aus seiner Jeans rutschte, als er aus dem Devar-Toi nach Amerika zurückstolperte. Der Bumbler, der nicht gerade von Glück verwöhnt war, wenn es um den Übergang zwischen Welten ging (beim letzten Mal wäre er fast unter ein Taxi geraten), fiel sich überschlagend heraus. Fast niemand auf der Welt wäre imstande gewesen, diesen Fall zu verhindern (bei dem Oy sich vermutlich keineswegs wehgetan hätte), aber Jake war nicht fast niemand. Das Ka brauchte ihn so dringend, dass es sogar einen Weg gefunden hatte, den Tod zu umgehen, um ihn wieder Roland beizugesellen. Jetzt schossen seine Hände mit solcher Geschwindigkeit nach vorn, dass sie kurzzeitig zur Unsichtbarkeit verschwammen. Als sie wieder sichtbar wurden, war die eine in Oys dichtem Nackenfell vergraben, während die andere das kürzere Fell am Ende des langen Rumpfs gepackt hielt. Jake setzte seinen Freund auf dem Asphalt ab. Oy sah zu ihm auf und bellte einmal kurz. Sein Kläffen schien zwei Dinge auf einmal auszudrücken: Danke und Mach das bloß nicht wieder.
»Komm!«, sagte Roland. »Wir haben’s eilig.«
Als Jake ihm zum Eingang des Ladens folgte, nahm Oy seinen gewohnten Platz neben dem Jungen ein. An der Tür hing ein Schild an einem kleinen Gummisaugnapf. Darauf stand WIR HABEN GEÖFFNET, ALSO NUR HEREIN – genau wie damals im Jahr 1977. Im Schaufenster links neben der Ladentür klebte eine Einladung:
KOMMT ALLEIN, KOMMT GEMEINSAM ZUM
1. CONGREGATIONAL CHURCH
BEANHOLE BOHNEN-DINNER
Samstag, 19. Juni 1999
Kreuzung Route 7 & Klatt Road
PFARRHAUS (Rückgebäude)
17-19.30 Uhr
IN DER 1. CONGO SAGEN WIR:
»FREUT UNS IMMA, SIE ZU SEHN, NACHBAH!«
Jake dachte: Das Bohnendinner beginnt in ungefähr einer Stunde. Sie werden schon Tischtücher ausbreiten und Geschirr aufdecken. Rechts neben der Ladentür klebte eine verblüffendere Mitteilung an die Öffentlichkeit:
ERSTE WIEDERGÄNGER-KIRCHE
LOVELL-STONEHAM
Wollen nicht auch SIE mit uns beten?
Sonntagsgottesdienst: 10 Uhr
Donnerstagsgottesdienst: 19 Uhr
JEDEN MITTWOCH JUGENDABEND!!! 19-21 UHR!
Spiele! Musik! Bibelarbeit!
***UND***
NACHRICHTEN VON WIEDERGÄNCERN!
He, Teens!
»Nur mitmachen ist cool!!!«
»Wir suchen die Tür zum Paradies – wollt ihr mitsuchen?«
Jake musste unwillkürlich an Harrigan, den Straßenprediger an der Ecke Second Avenue und Forty-sixth Street, denken und fragte sich, zu welcher dieser beiden Kirchen er sich wohl hingezogen gefühlt hätte. Sein Verstand hätte ihm vermutlich zur 1. Congo geraten, aber sein Herz …
»Beeil dich, Jake«, sagte Roland wieder, dann war das Bimmeln zu hören, mit dem der Revolvermann die Ladentür aufstieß. Gute Gerüche wehten heraus und erinnerten Jake (wie damals auch Eddie) an Took’s, den Gemischtwarenladen in der Calla: Kaffee und Pfefferminzbonbons, Pfeifentabak und Salami, Olivenöl, würzige Salzlake, Zucker und Gewürze und hunderterlei andere gute Sachen.
Als er Roland in den Laden folgte, war ihm bewusst, dass er zumindest doch zwei Dinge mitgebracht hatte. Die Coyote-Maschinenpistole steckte im Bund seiner Jeans, und die geflochtene Tasche mit den Orizas hing weiterhin über seiner Schulter – auf der linken Seite, damit er das noch verbliebene halbe Dutzend Teller leicht mit der rechten Hand erreichen
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