Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
jedoch fast blendend hell (obwohl wir bestimmt besser sehen werden, sobald unsere Augen sich nach der Düsternis von Donnerschlag und dem Halbdunkel der Gänge unter dem Dixie Pig akkommodiert haben). Alle Schatten sind klar definiert; sie könnten aus schwarzem Filz ausgeschnitten und auf den Oggan gelegt worden sein. Der wolkenlose Himmel ist strahlend blau. Die Luft ist frisch und kalt. Der um die Giebel der leeren Gebäude und durch die Zinnen von Schloss Discordia heulende Wind ist herbstlich und irgendwie nach innen gewandt. Auf dem Bahnhof Fedic steht eine Atomlokomotive – in der Sprache des Alten Volks eine »heiße Lok« – mit dem Namen SPIRIT OF TOPEKA auf beiden Seiten ihres einer Raketenspitze gleichenden Bugs. Jahrhunderte mit Sandstürmen aus der Wüste haben die schmalen Fenster des Führerstands fast undurchsichtig gemacht, aber das ist nicht weiter wichtig; die Spirit of Topeka hat ihre letzte Fahrt gemacht, und auch als sie noch regelmäßig verkehrte, wurde sie nie von einem bloßen Hume geführt. Hinter der Lok sind nur drei Wagen angekoppelt. Es waren ein Dutzend, als sie den Bahnhof Donnerschlag zu ihrer letzten Fahrt verließ, und es waren ein Dutzend, als sie in Sichtweite dieser Geisterstadt angelangte, aber …
Na ja, das ist eine Geschichte, die Susannah zu erzählen hat, und wir werden zuhören, wenn sie sie dem Mann erzählt, den sie Dinh genannt hat, als es noch ein Ka-Tet gab, das er führen konnte. Und hier ist Susannah selbst, die dort sitzt, wo wir sie schon einmal gesehen haben: vor dem Gin-Puppie Saloon. An der Stange zum Anbinden von Pferden parkt ihr verchromtes Streitross, dem Eddie den Namen Suzies Dreirad-Cruiser gegeben hat. Sie friert und hat nicht mal einen Pullover, in den sie sich hüllen könnte, aber ihr Herz sagt ihr, dass ihre Wartezeit fast zu Ende ist. Und wie sie hofft, dass ihr Herz auch Recht hat, wo es hier doch so spukt. In ihren Ohren klingt das Heulen des Windes viel zu sehr wie die verwirrten Schreie von Kindern, die hierher verschleppt wurden, damit ihr Körper ruiniert und ihr Verstand ermordet werden konnte.
Neben der rostigen Nissenhütte am Ende der Straße (der Experimentalstation von Bogen 16, erinnert ihr euch?) sind die grauen Cyborg-Pferde angebunden. Seit unserem letzten Besuch sind noch ein paar mehr umgefallen; einige andere bewegen den Kopf rastlos vor und zurück, als hielten sie nach ihren Reitern Ausschau, ob die kommen und sie losbinden würden. Aber das wird nie mehr geschehen, weil die freigesetzten Brecher sich zerstreut haben und keine Kinder mehr als Nahrung für ihre einzigartig begabten Köpfe brauchen.
Und jetzt seht euch das an! Endlich passiert das, worauf die Lady diesen ganzen Tag lang gewartet hat, und am Tag davor, und am Tag vor diesem, an dem Ted Brautigan, Dinky Earnshaw und einige andere (nicht jedoch Sheemie, der hat die Lichtung am Ende des Pfades betreten, sagt LEIDER) von ihr Abschied genommen haben. Die Tür des Dogans geht auf, und ein Mann tritt heraus. Als Erstes fällt ihr auf, dass er nicht mehr hinkt. Dann bemerkt sie die neuen Jeans, das neue Hemd. Flotte Klamotten, aber sonst ist er für dieses kalte Wetter so ungenügend gekleidet wie sie. In den Armen hält der Neuankömmling ein Pelztier mit hochgestellten Ohren. Soweit ist alles in Ordnung, aber der Junge, der das Tier tragen sollte, der fehlt. Kein Junge, worauf sich ihr Herz sofort mit Kummer füllt. Aber nicht mit Überraschung, hat sie es doch bereits geahnt, genau wie jener Mann (jener harte Mann) es gespürt hätte, wenn sie den Pfad verlassen hätte.
Sie rutscht auf Händen und Beinstümpfen von ihrem Sitz, hievt sich von dem hölzernen Gehsteig auf die Straße hinunter. Dort hebt sie eine Hand über den Kopf und winkt. »Roland!«, ruft sie. »He, Revolvermann! Ich bin hier drüben!«
Er sieht sie und erwidert ihr Winken. Dann bückt er sich und setzt das Tier ab. Oy rast wie der Blitz auf sie zu, mit gesenktem Kopf und angelegten Ohren, rennt mit dem Tempo und der geballten, sprungbereiten Eleganz eines Wiesels auf einer verharschten Schneedecke. Als er noch zwei Meter von ihr entfernt ist (mindestens zwei Meter), springt er so in die Luft, dass sein Schatten über den Schotter der Straße fliegt. Susannah bekommt ihn zu fassen, wie ein Footballspieler sich einen jesusmäßigen Pass aus der Luft schnappt. Die Wucht seines Aufpralls presst ihr den Atem aus der Lunge und lässt sie in einer kleinen Staubwolke umkippen, aber der erste
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