Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
war, verlor aber keine Zeit damit, sie zu suchen. Wäre sie hier gewesen, hätte er bestimmt ihre Stimme gehört, die in der Stille seinen Namen rief. Nein, wer den Gobelin mit den Vampir-Rittern beim Festmahl entwendet hatte, hatte sehr wahrscheinlich auch die Sköldpadda mitgenommen – ohne recht zu wissen, um was es sich bei ihr handelte, nur mit dem Wissen, dass sie etwas Fremdartiges und Wundervolles und Unirdisches war. Schade. Sie hätte sich als nützlich erweisen können.
Der Revolvermann ging weiter und schlängelte sich mit Oy bei Fuß zwischen den Tischen hindurch.
17
In der Küche blieb er lange genug stehen, um sich zu fragen, was die New Yorker Friedenswächter wohl von ihr gehalten haben mochten. Er wäre jede Wette eingegangen, dass sie noch keine Küche dieser Art gesehen hatten – nicht in dieser Stadt der Maschinen und der hellen elektrischen Lichter. Dies war eine Küche, in der Hax der Koch, an den er sich aus seiner Jugend am besten erinnerte (und unter dessen am Galgen baumelnden Füßen Roland und sein bester Freund einst Brotbrocken für die Vögel verstreut hatten), sich wie zu Hause gefühlt hätte. Die Kochfeuer brannten seit Wochen nicht mehr, aber der Geruch des Fleisches, das hier gebraten worden war – teils auch von der Art, die manche »Langschwein« nannten –, war stark und abstoßend. Auch hier wieder Spuren eines Kampfes (ein verkrusteter Topf, der auf den grünen Fliesen lag, und auf einer Herdplatte schwarz eingebranntes Blut), und Roland konnte sich lebhaft vorstellen, wie Jake sich durch die Küche hindurchgekämpft hatte. Aber nicht in Panik; nein, nicht er. Stattdessen war er stehen geblieben, um den Küchenjungen nach dem Weg zu fragen.
Wie heißt du, Freund?
Jochabim, der bin ich, Sohn des Hossa.
Jake hatte ihnen diesen Teil seines Abenteuers erzählt, aber es war nicht Rolands Erinnerung, die jetzt zu ihm sprach. Es waren die Stimmen der Toten. Er hatte solche Stimmen schon früher gehört und erkannte sie als das, was sie waren.
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Oy übernahm die Führung, wie er das schon bei seinem ersten Besuch hier getan hatte. Er konnte noch immer Akes Witterung aufnehmen, schwach und leidvoll. Ake war jetzt vorausgegangen, aber nicht allzu weit; er war gut, Ake war gut, Ake würde warten, und wenn die Zeit gekommen war – wenn der Auftrag, den Ake ihm erteilt hatte, ausgeführt war –, würde Oy ihn einholen und wie früher an seiner Seite bleiben. Seine Nase war gut, und er würde eine frischere Fährte als die hiesige finden, wenn es an der Zeit war, nach einer zu suchen. Ake hatte ihn vor dem Tod gerettet, was aber vergleichsweise unwichtig war. Ake hatte ihn vor Einsamkeit und Schande gerettet, nachdem Oy vom Tet seiner Artgenossen verstoßen worden war, und das war entscheidend wichtig.
Vorläufig hatte er einen Auftrag zu erledigen. Er führte den Mann Olan in die Speisekammer. Die Geheimtür zur Treppe war geschlossen, aber der Mann Olan tastete geduldig zwischen den Regalen mit Kisten und Dosen umher, bis er herausbekam, wie man sie öffnete. Alles war wie zuvor: die ins Kellergeschoss hinunterführende lange Treppe, die von nackten Glühbirnen an der Decke schwach beleuchtet wurde, und der feuchte, mit Schimmel überlagerte Geruch. Er witterte Ratten, die durch Hohlräume in den Wänden flitzten; Ratten und anderes Ungeziefer, darunter Käfer von der Art, auf die er Jagd gemacht hatte, als Ake und er letztes Mal hier gewesen waren. Das war eine gute Jagd gewesen, und er hätte sie gern wiederholt. Oy wünschte sich, dass die Käfer sich abermals zeigen, ihn noch mal herausfordern würden, aber das taten sie natürlich nicht. Sie hatten Angst, und ihre Angst war nur allzu berechtigt, waren Oy und seine Artgenossen doch von jeher ihre erbitterten Feinde.
Er machte sich auf den Weg die Treppe hinunter, und der Mann Olan folgte ihm.
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Sie kamen an dem verlassenen Kiosk mit seinen vom Alter vergilbten Schildern (NEW YORKER SOUVENIERS UND NEW YORK AM 11. SEPTEMBER 2001) vorbei, und fünfzehn Minuten später – Roland sah auf seine neue Uhr, um sich zu vergewissern, wie viel Zeit vergangen war – erreichten sie die Stelle, wo der staubige Boden des Korridors mit Glassplittern übersät war. Roland nahm Oy auf den Arm, damit er sich nicht die Pfotenballen zerschnitt. In beiden Wänden sah er die zerschossenen Überreste ehemals verglaster Luken. Als er einen Blick hineinwarf, entdeckte er dahinter komplizierte
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