Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Atemzug, den sie danach tut, kommt als Lachen wieder heraus. Sie lacht weiter, während er mit seinen kurzen Vorderläufen auf ihrer Brust und den kurzen Hinterläufen auf ihrem Bauch steht, die Ohren spitzt, freudig mit dem Ringelschwanz wedelt und ihr die Wangen, die Nase, die Augen leckt.
»Schluss jetzt!«, ruft sie. »Lass das, Schätzchen, bevor du mich noch umbringst!«
Sie hört diese Worte, so leichthin gemeint, und ihr Lachen verstummt. Oy springt von ihr herunter, bleibt sitzen, reckt die Schnauze ins leere Blau des Himmels und stößt ein lang gezogenes Heulen aus, das ihr alles sagen würde, was sie wissen muss, wenn sie es nicht schon zuvor gewusst hätte. Oy verfügt nämlich über eloquentere Ausdrucksmittel als die wenigen Wörter, die er sprechen kann. Susannah setzt sich auf, klopft sich kleine Staubwolken aus dem Hemd und sieht dann einen Schatten über sich fallen. Sie hebt den Blick, kann aber Rolands Gesicht nicht gleich erkennen. Sein Kopf ist unmittelbar vor der Sonne, die ihn mit einer blendend hellen Corona umgibt. Seine Gesichtszüge bleiben in tiefem Schatten verborgen.
Aber er streckt ihr die Hände hin.
Irgendwie will sie die Hände nicht ergreifen, und ist das nicht verständlich? Irgendwie würde sie die Sache am liebsten hier beenden, ihn allein ins Ödland schicken. Unabhängig davon, was Eddie wollte. Unabhängig davon, was auch Jake bestimmt gewollt hätte. Diese dunkle Gestalt mit dem hellen Strahlenkranz um den Kopf hat sie aus einem überwiegend behaglichen Leben gezerrt (o ja, sie hatte ihre Gespenster, die ihr zusetzten – und auch zumindest einen bösartigen Dämon –, aber wer von uns hätte die nicht?). Er hat sie erst mit Liebe, dann mit Schmerz, dann mit Grauen und Verlust bekannt gemacht. Mit anderen Worten: Ihre Situation hat sich stetig verschlimmert. Es war seine unheilvoll talentierte Hand, die schuld an ihrem Kummer war, die Hand dieses staubigen fahrenden Ritters, der in seinen alten Stiefeln und mit je einer alten Todesmaschine an den Seiten aus der alten Welt getreten ist. Dies sind melodramatische Gedanken, purpurrote Bilder, und die Odetta von früher, Stammgast im The Hungry I und ganz allgemein ein steiler Zahn, hätte zweifellos über sie gelacht. Aber sie hat sich verändert, er hat sie verändert, und ihrer Überzeugung nach hat niemand ein größeres Anrecht auf melodramatische Gedanken und purpurrote Bilder als Susannah, Tochter des Dan.
Irgendwie wollte sie ihn abweisen, nicht um seine Suche zu beenden oder ihm den Mut zu rauben (das wird erst der Tod können), sondern um den letzten Funken in seinem Blick erlöschen zu lassen und ihn für seine schonungslose unabsichtliche Grausamkeit zu strafen. Aber das Ka ist das Rad, auf das wir alle geflochten sind, und wenn es sich dreht, müssen wir uns zwangsläufig mitdrehen: erst mit dem Kopf himmelwärts, dann wieder in Richtung Hölle hinab, wo unser Gehirn zu brennen scheint. Statt sich also abzuwenden …
2
Statt sich abzuwenden, wie es ein Teil ihres Ichs wollte, ergriff Susannah nun Rolands Hände. Er zog sie hoch, nicht auf die Füße (weil sie ja keine mehr besaß, obwohl sie für kurze Zeit ein Paar geliehen bekommen hatte), sondern in seine Arme. Und als er sie auf die Wange küssen wollte, drehte sie den Kopf so zur Seite, dass seine Lippen sich auf ihre drückten. Er soll wissen, dass dies keine halbherzige Sache ist, dachte sie, während sie ihren Atem mit seinem vermengte und ihn dann verändert zurückerhielt. Er soll wissen, dass ich bis zum Schluss dabei bin, wenn ich mitmache. Gott sei mir gnädig, ich bin bis zum Schluss mit dabei.
3
Im Geschäft für Hüde & Damenbekleidung gab es warme Sachen, die jedoch schon bei leichter Berührung zerfielen – die Jahre und die Motten hatten nichts Brauchbares zurückgelassen. Im Hotel Fedic (RUHIGE ZIMMER, GUDE BETTEN) entdeckte Roland in einem Schrank einige Wolldecken, die sie wenigstens vor der nachmittäglichen Kühle schützen würden. Sie wickelten sich darin ein – die Nachmittagsbrise reichte eben aus, um den Modergeruch erträglich zu machen), und Susannah fragte nach Jake, um den unmittelbaren Schmerz wegen seines Todes loszuwerden.
»Wieder dieser Schriftsteller«, sagte sie erbittert, als Roland fertig war, und wischte sich Tränen aus den Augen. »Der Teufel soll den Kerl holen!«
»Meine Hüfte hat nachgegeben, und der … und Jake hat keinen Augenblick gezögert.« Roland hätte beinahe der Junge
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