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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dürren Jungen völlig verständnislos an. Schließlich überzog Angst seine wässrigen Augen.
    »Mordred, Sohn des Los’«, sagte er und versuchte zu lächeln. »Heil Euch, zukünftiger König!« Er machte eine scharrende Bewegung mit den Füßen und schien dann zu merken, dass er saß, was aber nicht sein durfte. Er wollte sich sofort aufrappeln, fiel mit einem Bums zurück, der den Jungen nicht wenig belustigte (Belustigungen waren im Ödland eher selten gewesen, da war diese hier umso mehr zu begrüßen), und versuchte es gleich noch mal. Diesmal gelang es ihm, auf die Beine zu kommen.
    »Ich sehe keine Toten außer zwei Burschen, die in einem Alter, das deines sogar noch übersteigt, gestorben zu sein scheinen«, bemerkte Mordred, indem er sich übertrieben gründlich umsah. »Jedenfalls sehe ich keine toten Revolvermänner, weder von der langbeinigen noch von der kurzbeinigen Sorte.«
    »Ihr sprecht wahrhaftig – und ich sage Euch meinen Dank, natürlich tue ich das –, aber ich kann alles erklären, Sai, sogar ganz einfach …«
    »Ach, warte! Halte deine Erklärung zurück, auch wenn sie gewiss ausgezeichnet ist! Lass mich stattdessen raten! Liegt’s daran, dass Schlangen – lange, dicke Schlangen – den Revolvermann und seine Lady gefesselt haben und du sie unter Bewachung ins Schloss hast bringen lassen?«
    »Gnädiger Herr …«
    »In diesem Fall«, fuhr Mordred fort, »muss dein Korb gewaltig viele Schlangen enthalten haben, jedenfalls sehe ich noch ganze Mengen hier draußen. Und einige davon scheinen sich offenbar an dem zu laben, was mein Abendessen hätte sein sollen.« Obwohl die abgetrennten, verwesenden Gliedmaßen in dem Korb trotzdem sein Abendessen sein würden – zumindest ein Teil davon –, warf Mordred dem Alten einen vorwurfsvollen Blick zu. »Sind die Revolvermänner also eingesperrt worden?«
    Der ängstliche Gesichtsausdruck des Alten verschwand und wurde durch Resignation ersetzt. Das brachte Mordred beinahe zur Raserei. Was er auf dem Gesicht des alten Sai Thoughtful sehen wollte, war nicht Angst und bestimmt nicht Resignation, sondern Hoffnung. Die er ihm rauben würde, wann es ihm gefiel. Seine Gestalt begann zu wabern. Einen Augenblick lang sah der Alte das formlose Dunkel, das unter ihrem Äußeren lauerte, und die vielen Beine. Dann verschwand es, und der Junge war wieder da. Zumindest vorläufig.
    Ich will nicht schreiend sterben, dachte der ehemalige Austin Cornwell. Gewährt mir wenigstens das, ihr Götter dort oben. Ich will nicht schreiend in den Fängen dieses Monstrums sterben.
    »Ihr wisst, was hier geschehen ist, junger Herr. Es ist in meinem Verstand, also auch in Eurem. Warum verzehrt Ihr nicht, was in diesem Korb ist – auch die Schlangen, wenn sie Euch schmecken –, und lasst einen alten Mann friedlich seine Tage beschließen? Wenn nicht um Euretwillen, dann um Eures Vaters willen. Ich habe ihm treu gedient und tue das auch jetzt noch. Ich hätte mich einfach im Schloss verkriechen und sie weiterziehen lassen können. Aber das habe ich nicht getan. Ich hab’s versucht.«
    »Du hattest keine andere Wahl«, antwortete Mordred von seinem Ende der Brücke aus. Ohne zu wissen, ob das stimmte oder nicht. Ohne sich etwas daraus zu machen. Totes Fleisch war lediglich nahrhaft und sonst nichts. Aber lebendes Fleisch und Blut, das noch Sauerstoff von den letzten Atemzügen enthielt … ah, das war wahrlich ein Genuss. Das war ein köstliches Mahl! »Sollst du mir etwas von ihm bestellen?«
    »Aye, das wisst Ihr.«
    »Erzähl’s mir.«
    »Warum lest Ihr’s nicht einfach in meinen Gedanken?«
    Wieder diese flatternde, flüchtige Veränderung. Einen Augenblick lang stand am anderen Ende der Brücke kein Junge, auch keine Spinne von der Größe eines Jungen, sondern etwas, was beides zugleich war. Sai Thoughtfuls Mund wurde trocken, noch während der Speichel, der ihm bei seinem Nickerchen aus dem Mund gelaufen war, an seinem Kinn glänzte. Dann verfestigte sich Mordreds Jungengestalt wieder in seiner zerlumpten, zerschlissenen Jacke.
    »Weil’s mir gefällt, es aus deinem zahnlosen alten Maul zu hören«, sagte er zu Thoughtful.
    Der Alte fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Also gut, wies Euch beliebt. Er hat gesagt, er sei erfahren, während Ihr noch jung und völlig unbeschrieben seid. Er hat gesagt, wenn Ihr Euch nicht von ihm fernhaltet, wird er euch den Kopf abschlagen. Er hat gesagt, er würde ihn gern vor Eurem Roten Vater hochhalten, während er

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