Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
ab. Im Feuerschein tanzte sein Schatten eine magere, schwankende Commala.
»Kannst du noch ein, zwei kalte Nächte aushalten?«, fragte er sie schließlich.
Sie nickte. »Wenns sein muss.«
»Sobald wir den Aufstieg ins Schneeland beginnen, wird es wirklich kalt«, sagte er. »Und obwohl ich dir nicht versprechen kann, dass wir nur eine einzige Nacht kein Feuer haben werden, glaube ich andererseits auch nicht, dass es mehr als zwei Nächte sein werden.«
»Du glaubst, dass Wild sich leichter erlegen lässt, wenn wir kein Feuer machen, stimmt’s?«
Roland nickte und machte sich daran, die Revolver wieder zusammenzusetzen.
»Wird es übermorgen schon Wild geben?«
»Ja.«
»Woher weißt du das?«
Er überlegte, dann schüttelte er den Kopf. »Das kann ich nicht sagen – ich weiß es eben.«
»Kannst du’s riechen?«
»Nein.«
»Fühlung mit deren Verstand aufnehmen?«
»Das ist es auch nicht.«
Sie gab auf. »Roland, was ist, wenn Mordred heute Nacht die Vögel gegen uns entsendet?«
Er lächelte und deutete auf die Flammen. Unter ihnen waberte die hellrote Holzkohlenglut wie der Feuerodem eines Drachen. »Sie werden es nicht wagen, deinem Freudenfeuer zu nahe zu kommen.«
»Und morgen?«
»Morgen sind wir weiter von Le Casse Roi Russe entfernt, als sie selbst auf Mordreds Geheiß fliegen würden.«
»Und woher weißt du das?«
Roland schüttelte nochmals den Kopf, obwohl er glaubte, die Antwort auf diese Frage zu kennen. Was er wusste, kam vom Turm. Er konnte das Erwachen von dessen Puls im Kopf spüren. Als ob aus einem trockenen Samenkorn ein grüner Trieb sprösse. Aber es war zu früh, darüber zu sprechen.
»Leg dich hin, Susannah«, sagte er. »Ruh dich aus. Ich wache bis Mitternacht, dann wecke ich dich.«
»Wir halten also ab jetzt Wache«, sagte sie.
Er nickte.
»Beobachtet er uns?«
Das konnte Roland nicht so recht sagen, aber er vermutete, dass Mordred es tat. Vor seinem inneren Auge stand das Bild eines spindeldürren Jungen (nun jedoch mit aufgeblähtem Bauch, weil er reichlich gegessen haben würde), in den Lumpen einer schmutzigen, zerrissenen Jacke, aber anderweitig nackt. Ein magerer Junge, der sich in einem dieser unnatürlich schmalen Häuser einquartiert hat, vielleicht im zweiten Stock, weil von dort aus die Sicht gut ist. Er hockt am Fenster, hat die Knie bis unters Kinn hochgezogen, um es wärmer zu haben, spürt in der Eiseskälte vielleicht die Narbe in seiner Seite, starrt den Schein ihres Feuers an und neidet es ihnen. Neidet ihnen auch ihre Gemeinschaft. Halbmutter und Weißer Vater, die ihm den Rücken zukehren.
»Wahrscheinlich«, sagte er.
Susannah wollte sich ausstrecken, richtete sich dann aber noch einmal auf. Sie berührte die wunde Stelle neben ihrer Unterlippe. »Das ist kein Pickel, Roland.«
»Nein?« Er saß ruhig da und sah sie an.
»Im College hatte ich eine Freundin, die genau so etwas hatte«, sagte Susannah. »Es hat geblutet, dann hat die Blutung aufgehört, es ist fast verheilt, dann ist es dunkler geworden und hat wieder geblutet. Schließlich ist sie zum Arzt gegangen – zu einem Facharzt, den wir Dermatologe nennen –, und der meinte, dass es sich um ein Angiom handelte. Einen Bluttumor. Er hat ihr Novocain gespritzt und es mit einem Skalpell herausgeschnitten. Er hat gesagt, es sei gut, dass sie rechtzeitig gekommen sei, mit jedem Tag würde dieses Ding nämlich seine Wurzeln etwas tiefer ausstrecken. Irgendwann, hat er gesagt, hätte es den Gaumen und vielleicht sogar die Nebenhöhlen erreicht.«
Roland wartete schweigend. Der Ausdruck, den sie benutzt hatte, klang in seinem Kopf nach: Bluttumor. Er hätte auf den Scharlachroten König gemünzt sein können, fand er. Auch auf Mordred.
»Wir haben kein Novocain nich, Baby«, sagte Detta Walker, »und das weiß ich auch, klare Sache! Aber wenn’s so weit is und ich’s dir sag, zückst du dein Messer und schneidst mir das Scheißding weg. Un zwa schneller, als der Bumbler dort drüben ’ne Fliege aus der Luft schnappen kann. Haste verstanden? Du weißt, was ich meine?«
»Ja. Aber leg dich jetzt hin. Ruh dich aus.«
Sie streckte sich aus. Fünf Minuten nachdem sie scheinbar eingeschlafen war, öffnete Detta Walker die Augen und
(ich beobachte dich, weißer Knabe)
funkelte ihn an. Roland nickte ihr zu, worauf sie die Augen wieder schloss. Kurze Zeit später öffneten die Augen sich zum zweiten Mal. Diesmal war es Susannah, die ihn ansah, und nachdem diese die Augen geschlossen
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