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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wachte auch nicht auf, als Mordred Rotferse kam. Er hockte mit auf die Brust gesunkenem Kinn da, während ihm der Sabber zwischen den geschürzten Lippen herauströpfelte, und sah wie ein Baby aus, das in seinem Hochstuhl eingeschlafen war. Auf den Zinnen und Laufgängen waren inzwischen mehr Vögel versammelt als je zuvor. Beim Annähern des jungen Prinzen hätten sie eigentlich auffliegen müssen, aber er sah einfach zu ihnen auf und machte eine Handbewegung in der Luft: Die geöffnete Rechte fuhr rasch am Gesicht vorbei und stach dann zur Faust geballt nach unten. Wartet, hieß das.
    Mordred machte auf der Stadtseite der Brücke Halt und sog prüfend den Geruch des verwesenden Fleischs ein. Dieser Duft war verlockend genug gewesen, um ihn einen Umweg machen zu lassen, obwohl er wusste, dass Roland und Susannah weiter dem Pfad des Balkens folgten. Sie und ihr zahmer Bumbler sollten ihren Weg ruhig fortsetzen, sagte sich der Junge. Irgendwann später würde die Wachsamkeit seines Weißen Daddys einmal nachlassen, selbst wenn es nur für einen Augenblick war, und dann würde Mordred ihn sich schnappen.
    Und zwar zum Abendessen, wie er hoffte, aber zum Frühstück oder Mittagessen wäre auch nicht schlecht.
    Als er diesen Burschen zum letzten Mal gesehen hatte, war er noch
    (kleiner Spatz mach’s mir nicht schwer bring dein kleines Körbchen her)
    ein Kleinkind gewesen. Das Wesen, das jetzt vor dem Tor des Schlosses des Roten Königs stand, war zu einem Jungen herangewachsen, der ungefähr neun Jahre alt zu sein schien. Kein gut aussehender Junge; nicht die Art Junge, die irgendjemand (außer seiner verrückten Mutter) hübsch genannt hätte. Das hatte allerdings momentan weniger mit seiner vertrackten Erbmasse als mit bloßem Ausgehungertsein zu tun. Das Gesicht unter dem trockenen schwarzen Haarbüschel war abgezehrt und viel zu schmal. Das Fleisch unter Rolands Kanoniersaugen war verfärbt, schwammig purpurrot. Die Gesichtshaut war von Pickeln und offenen Geschwüren wie von einem Schuss mit Vogelschrot durchlöchert. Wie der Pickel neben Susannahs Unterlippe hätten sie eine Folge seiner Wanderung durch vergiftete Landstriche sein können, aber bestimmt hatte auch Mordreds Ernährung etwas damit zu tun. Beim Aufbruch vom Kontrollpunkt jenseits des Tunnels hätte er sich mit Konserven versehen können – Roland und Susannah hatten mehr als genug zurückgelassen –, aber daran hatte er nicht gedacht. Er war noch dabei, wie Roland wusste, die zum Überleben notwendigen Tricks zu erlernen. Die einzigen Dinge, die Mordred aus der Nissenhütte mitgenommen hatte, waren eine zerschlissene wattierte Drillichjacke, wie Eisenbahner sie trugen, und ein brauchbares Paar Stiefel gewesen. Dass er die Stiefel gefunden hatte, war wirklich ein glücklicher Zufall gewesen, auch wenn sie sich im weiteren Verlauf der Wanderung ziemlich in ihre Bestandteile aufgelöst hatten.
    Wäre er ein Hume – oder auch nur ein gewöhnlicheres Wer-Geschöpf, was das anging – gewesen, wäre Mordred im Ödland gestorben, mit oder ohne Jacke, mit oder ohne Stiefel. Weil er jedoch das war, was er war, hatte er Krähen zu sich gerufen, wenn er hungrig war, und den Krähen war nichts anderes übrig geblieben, als seinem Ruf zu folgen. Die Vögel waren zwar eine erbärmliche Kost, und die Käfer, die er unter den kahlen (und noch immer schwach radioaktiven) Felsen hervorrief, waren noch schlimmer, aber er hatte sie hinuntergewürgt. Eines Tages hatte er einmal mit dem Verstand eines Wiesels Fühlung aufgenommen und es zu sich befohlen. Es war ein mageres, kümmerliches Ding gewesen, selbst bereits dem Hungertod nahe, aber nach den Vögeln und Käfern hatte es wie das beste Steak der Welt geschmeckt. Mordred hatte sich in sein anderes Ich verwandelt, das Wiesel in seine siebenbeinige Umarmung geschlossen und dann ausgesaugt, bis nur noch einige Fetzen Fell übrig waren. Er hätte gern noch ein weiteres Dutzend verspeist, konnte aber nur dieses eine finden.
    Und hier stand nun ein ganzer Korb mit Essen vor ihm. Es war gut gealtert, gewiss, aber was war schon dabei? Selbst die Maden besaßen Nährwert. Mehr als genug, um ihn bis in die verschneiten Wälder südwestlich des Schlosses zu tragen, in denen es reichlich Wild geben würde.
    Aber zuvor musste er sich des alten Mannes annehmen.
    »Rando«, sagte er. »Rando Thoughtful.«
    Der Alte fuhr zusammen, murmelte etwas und schlug dann die Augen auf. Einige Sekunden lang starrte er den vor ihm stehenden

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