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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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spürte er es ebenfalls – dieses Pulsieren, diesen Gesang. Was Roland und Susannah und Patrick jedoch in Dur hörten, das hörte der Junge in Moll. Und wo sie viele Stimmen hörten, da hörte Mordred nur eine: die Stimme seines Roten Vaters, der ihn zu kommen aufforderte. Der ihn anwies, den stummen Jungen und die schwarze Schlampe und vor allem den Revolvermann aus Gilead, den lieblosen Weißen Daddy, der ihn ja wohl verlassen habe, zu töten. (Natürlich hatte auch sein Roter Daddy ihn verlassen, aber darauf kam Mordred nicht.)
    Und wenn alle tot waren, versprach die flüsternde Stimme ihm, würden sie den Dunklen Turm zerstören und gemeinsam bis in alle Ewigkeit übers Flitzerdunkel herrschen.
    Also aß Mordred, wo Mordred doch hongrig war. Und Mordred schlief, weil Mordred müde war. Und als Mordred schließlich in Dandelos warmer Kleidung aufbrach und der frisch geräumten Tower Road folgte, zog er einen reichlich mit Vorräten – vor allem Konserven – beladenen Schlitten und war ein junger Mann von etwa zwanzig Jahren geworden: hoch gewachsen und schlank und ansehnlich wie ein Sommermorgen, in seiner Menschengestalt nur durch die Narbe an der Seite, wo Susannahs Schuss ihn gestreift hatte, und das rote Muttermal an der einen Ferse entstellt. Diese Ferse, das hatte er sich vorgenommen, würde er auf Rolands Kehle setzen – und das schon bald.

 
     
     
     
     
     
T EIL F ÜNF

D AS S CHARLACHROTE F ELD

D ER C AN ’-K A N O R EY
     

Kapitel I

D ER A BSZESS UND DIE T ÜR

(A DIEU , MEINE L IEBE )
1
     
    In den letzten Tagen ihrer langen Pilgerfahrt, nachdem Bill – jetzt nur noch Bill, nicht länger Stotter-Bill – sie an der Grenze der Weißen Lande abgesetzt hatte, begann Susannah Dean zunehmend unter Weinanfällen zu leiden. Sie fühlte diese Wolkenbrüche kommen und entschuldigte sich dann bei den anderen, indem sie behauptete, mal eben in die Büsche verschwinden zu müssen. Und dort saß sie dann auf einem umgestürzten Baumstamm oder vielleicht auch nur dem kalten Erdboden, schlug die Hände vors Gesicht und ließ den Tränen freien Lauf. Falls Roland davon wusste – und die rot geweinten Augen, mit denen sie zur Straße zurückkehrte, konnten ihm nicht entgehen –, äußerte er sich nicht dazu. Wahrscheinlich wusste er, was auch sie wusste.
    Ihre Zeit in Mittwelt – und Endwelt – war fast abgelaufen.
     
     

2
     
    Mit seinem schönen orangeroten Schneepflug brachte Bill sie zu einer einsamen Nissenhütte, an deren Vorderfront ein verblasstes Schild verkündete:
     
    Territorialer Außenposten 19
    Turmwache
    Das Überschreiten dieses Punktes ist verboten!
     
    Susannah vermutete, dass der Territoriale Außenposten 19 genau genommen noch innerhalb der Grenze der Weißen Lande von Empathica lag, aber die Luft war, während die Tower Road stetig abfiel, bereits viel wärmer geworden, und die Schneedecke war jetzt nur noch ein dünner Schleier. Kleine Waldstücke sprenkelten das Land vor ihnen, aber Susannah glaubte, dass es bald in eine Prärie wie im amerikanischen Mittelwesten überging. Hier gab es auch niedrige Sträucher, die im Sommer vermutlich Beeren trugen – vielleicht sogar Kermesbeeren –, aber jetzt waren sie kahl und raschelten in dem fast ständig herrschenden Wind. Auf beiden Seiten der Tower Road – die einst befestigt gewesen war, aber heute aus kaum mehr als zwei holperigen Fahrspuren bestand – waren hauptsächlich hohe Gräser zu sehen, die aus der dünnen Schneedecke ragten. Sie flüsterten im Wind, und Susannah verstand ihr Lied: Commala-come-come, bald ist die Reise getan.
    »Weiter darf ich nicht«, sagte Bill, stellte den Motor des Schneepflugs ab und unterbrach Little Richard mitten in einem Song. »Erflehe eure Verzeihung, wie sie im Bogen der Grenzlande sagen.«
    Ihre Fahrt hatte volle eineinhalb Tage gedauert, und in dieser Zeit hatte er sie mit einem unaufhörlichen Strom von »Golden Oldies«, wie er sie nannte, unterhalten. Einige davon erschienen Susannah durchaus nicht alt; Songs wie »Sugar Shack« und »Heat Wave« waren gerade Radioschlager gewesen, als sie von ihrem kleinen Urlaub in Mississippi zurückgekommen war. Andere hatte sie allerdings noch nie gehört. Die Musik war nicht auf Schallplatten oder Tonbändern, sondern auf schönen kleinen Silberscheiben gespeichert, die Bill »Zehdehs« nannte. Er schob sie in einen Schlitz in dem mit Instrumenten überladenen Armaturenbrett des Schneepflugs, worauf die Musik aus mindestens acht

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