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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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her.
    Nur noch eine Nacht, dachte der Revolvermann. Noch eine Nacht, danach ein weiterer Tag, und dann ist’s geschehen. So oder so.
    Er ließ das Pulsieren des Turms und die vielen singenden Stimmen in seinen Kopf strömen, damit es sein Ausschreiten leichter machte … zumindest ein wenig. Rosen gab es jetzt häufiger: Sie wuchsen zu Dutzenden auf beiden Seiten der Straße und belebten die sonst so eintönige Landschaft. Einige wenige wuchsen auch auf der Straße selbst, und er achtete geflissentlich darauf, um alle einen weiten Bogen zu machen. Selbst wenn er noch so müde war, würde er keine zertrampeln oder auch nur mit einem Rad über ein einziges abgefallenes Blütenblatt fahren.
     
     

5
     
    Als die Sonne noch hoch über dem Horizont stand, machte er für die Nacht Halt, weil er bereits zu müde war, um sich weiterzuschleppen, obwohl es noch mindestens zwei Stunden hell sein würde. Vor ihm lag ein ausgetrocknetes Bachbett, das jedoch von jenen herrlichen Wildrosen gänzlich überwuchert war. Ihre Lieder verringerten zwar nicht seine Müdigkeit, aber immerhin weckten sie seine Lebensgeister wieder etwas. Er hatte den Eindruck, als gälte das auch für Patrick und Oy, und das war gut so. Beim Aufwachen hatte Patrick sich zunächst erwartungsvoll umgesehen. Dann hatte seine Miene sich verfinstert, und Roland wusste, dass ihm wieder einmal klar wurde, dass Susannah fort war. Anfänglich hatte der Junge in solchen Momenten immer ein bisschen geweint, aber hier würde es möglicherweise keine Tränen geben.
    Am Ufer stand ein Wäldchen aus Pappeln – zumindest hielt der Revolvermann diese Bäume für Pappeln –, die jedoch abgestorben waren, als der Bach, aus dem die Wurzeln sich genährt hatten, versiegt war. Jetzt bildeten die Äste nur noch ein einziges knochiges, unbelaubtes Gewirr vor dem Abendhimmel. In ihren Silhouetten konnte er ein ums andere Mal die Zahl neunzehn erkennen – sowohl in der Schreibweise, die in Susannahs Welt, als auch der, die in seiner eigenen üblich war. Und an einer Stelle schienen die Äste vor dem dunkler werdenden Himmel sogar deutlich das Wort SCHRULL zu bilden.
    Bevor Roland Feuer machte und ihnen ein frühes Abendessen bereitete – Konserven aus Dandelos Speisekammer würden für heute genügen müssen, fand er –, ging er das ausgetrocknete Bachbett entlang, schlenderte langsam unter abgestorbenen Bäumen dahin, genoss den Duft der Rosen und lauschte ihrem Gesang. Der Rosenduft und dieser Klang waren erfrischend.
    Als er sich etwas besser fühlte, las er unter den Bäumen Brennholz auf (und brach dazu einige der unteren Äste ab, wobei trockene, abgesplitterte Stümpfe zurückblieben, die ihn etwas an Patricks Bleistifte erinnerten) und häufte dann zusammen mit Anmachholz eine Feuerstelle an. Schließlich riss er ein Zündholz an und murmelte dabei den alten Feuerreim, fast ohne sich dessen bewusst zu sein: »Auf, mein Fünkchen lieb und teuer, ob beim Schlafen oder Wachen, willst den Zunder du entfachen, entzünden mir mein Feuer?«
    Während er darauf wartete, dass das Lagerfeuer erst hell brannte und dann zu hellrot glosender Glut wurde, zog Roland die Uhr hervor, die er in New York geschenkt bekommen hatte. Gestern war sie stehen geblieben, einerlei ob – wie ihm versichert worden war – die Batterie mindestens hundert Jahre lang hielt.
    Als der Spätnachmittag nun allmählich in den Abend überging, liefen die Zeiger auf einmal sehr langsam rückwärts.
    Er beobachtete dieses Schauspiel eine Weile lang fasziniert, dann klappte er den Sprungdeckel zu und betrachtete die darauf eingravierten Siguls: Schlüssel, Rose und Turm. Hinter den sich spiralförmig emporwindenden Fenstern hatte jetzt ein schwaches, fast elfenhaftes blaues Licht zu glühen begonnen.
    Von diesem Leuchten haben sie nichts gesagt, dachte er, dann steckte er sie wieder sorgfältig in seine linke Brusttasche, nachdem er sich vergewissert hatte (wie er das jedes Mal tat), dass die Tasche kein Loch hatte, durch das die Uhr fallen konnte. Dann machte er sich ans Kochen. Anschließend aßen Patrick und er reichlich.
    Oy rührte keinen einzigen Bissen an.
     
     

6
     
    Abgesehen von der Nacht, die er beim Palaver mit dem Mann in Schwarz verbracht hatte – jener Nacht, in der Walter ihm aus zweifellos gezinkten Karten eine schlimme Zukunft vorhergesagt hatte –, waren diese zwölf Stunden Dunkelheit neben dem versiegten Bach die längste Nacht in Rolands Leben. Die Müdigkeit sank immer düsterer

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