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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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musste selbst einmal eine getragen haben. Schnitt die Hebamme die Nabelschnur eines Neugeborenen durch, um Mutter und Kind zu trennen, wurde über dem Nabel des Säuglings eine solche Klammer angebracht, die dann dort verblieb, bis der Rest der Nabelschnur – und die Klammer mit ihr – abfiel. (Der Nabel selbst hieß Tet-ka can Gan.) Die Seidenschleife zeigte, dass die Klammer einem Jungen gehört hatte. Bei einem Mädchen wäre sie rosa gewesen.
    ’s war meine eigene, dachte Roland. Er betrachtete sie noch eine Weile lang fasziniert, dann legte er sie behutsam dorthin zurück, wo sie gelegen hatte. Wo sie hingehörte. Als er sich wieder aufrichtete, sah er das Gesicht eines Neugeborenen
    (Kann das mein liebstes Bah-bo sein? Wenn du’s sagst, dann soll’s so sein!)
    zwischen all den anderen. Es war verzerrt, als hätte ihm sein erster, schon vom Tod verpesteter Atemzug außerhalb des Mutterleibs nicht gefallen. Bald würde es sein Urteil über seine neuen Lebensumstände durch einen schrillen Schrei abgeben, der durch die Gemächer Stevens und Gabrielles hallen und bei den Freunden und Dienstboten, die ihn hörten, ein erleichtertes Lächeln hervorrufen würde. (Nur Marten Broadcloak würde ein finsteres Gesicht machen.) Die Geburt war vorüber, und das Kind war lebend zur Welt gekommen, sagt Gan und allen Göttern euren Dank. In der Linie des Eld gab es einen Stammhalter – und somit weiterhin eine minimale Chance, der jammervolle Abstieg der Welt in den Ruin könnte aufgehalten, wohl gar ins Gegenteil verkehrt werden.
    Als Roland diesen Raum verließ, war sein Déjà-vu-Gefühl stärker als je zuvor. Und auch das Gefühl, sich im Körper von Gan selbst zu befinden.
    Er wandte sich der Treppe zu und setzte seinen Aufstieg fort.
     
     

4
     
    Weitere neunzehn Stufen brachten ihn zum zweiten Treppenabsatz und dem nächsten runden Raum. Hier waren Stofffetzen auf dem Fußboden verstreut. Roland zweifelte keinen Augenblick daran, dass dies einst eine Säuglingswindel gewesen war, die ein bestimmter reizbarer Eindringling zerfetzt hatte, der dann auf den Balkon hinausgetreten war, um nochmals einen Blick auf das Rosenfeld zu werfen, und dort in Gefangenschaft geraten war. Er war ein Wesen von monumentaler Verschlagenheit, voll übel wollender Klugheit … aber zuletzt hatte er sich doch vertan und würde nun bis in alle Ewigkeit dafür büßen.
    Wenn er nur einen Blick auf die Rosen werfen wollte, weshalb hat er dann seine Munition auf den Balkon mitgenommen?
    Weil das seine einzigen Gunna waren, die er zudem auf der Schulter getragen hat, flüsterte eines der in die Rundung der Wand gehauenen Gesichter. Es war Mordreds Gesicht. In seinen Augen sah Roland jetzt keinen Hass mehr, sondern nur die einsame Traurigkeit eines verlassenen Kindes. Dieses Gesicht war so einsam wie der Pfiff einer Lokomotive in einer mondlosen Nacht. Für Mordreds Nabel hatte es keine Zedernholzklammer gegeben, als er zur Welt gekommen war, nur die Mutter, die ihm als erstes Mahl gedient hatte. Keine Klammer, nie im Leben, weil Mordred nämlich niemals dem Tet von Gan angehört hatte. Nein, nicht er.
    Mein Roter Vater wäre niemals unbewaffnet gegangen, flüsterte der steinerne Junge. Vor allem nicht außerhalb seines Schlosses. Er war verrückt, aber so verrückt auch wieder nicht.
    In diesem Raum roch es nach dem Talkumpuder, den seine Mutter immer verwendete, wenn er frisch gebadet nackt auf einem Handtuch lag und mit seinen neu entdeckten Zehen spielte. Sie hatte seine Haut damit eingepudert und leise gesungen, während sie ihn liebkost hatte: Kleiner Spatz, mach’s mir nicht schwer, bring dein kleines Körbchen her! Auch dieser Geruch verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war.
    Roland trat an das kleine Fenster, stakste zwischen den Windelfetzen hindurch und sah dann hinaus. Die körperlosen Augen spürten seine Gegenwart und machten schwindelerregend schnell kehrt, um ihn anzustarren. Ihr Blick war von Zorn und Verlust vergiftet.
    Komm heraus, Roland! Komm raus und tritt mir allein entgegen! Mann gegen Mann! Auge um Auge, wenn’s beliebt!
    »Lieber nicht«, sagte Roland, »ich habe nämlich noch weitere Arbeit zu erledigen. Noch ein wenig, selbst jetzt noch.«
    Das war sein letztes Wort an den Scharlachroten König. Obwohl der Wahnsinnige ihm Gedanken nachschrie, kreischte er sie vergebens, weil Roland sich kein einziges Mal umsah. Auf seinem Weg zum Obergeschoss des Turms hatte er weitere Treppen zu ersteigen und weitere

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