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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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besessen), sah er zwei rote Augen, die in der sich verdunkelnden Luft schwebten und mit unauslöschlichem Hass auf ihn herabstarrten. Hinter ihnen verloren die dünnen schwebenden Silberfäden der Sehnerven (jetzt vom Licht der untergehenden Sonne rötlichorange getönt) sich im Nichts. Der Revolvermann vermutete, dass die Augen des Scharlachroten Königs nun bis in alle Ewigkeit dort oben verharrten und übers Can’-Ka No Rey hinausblickten, während ihr Besitzer durch die Welt irrte, in die Patricks zauberisches Künstlerauge und sein Radiergummi ihn verbannt hatten. Oder, was wahrscheinlicher war, durch den Raum zwischen den Welten irrte.
    Roland folgte dem Pfad bis zu der Stelle, wo er vor der mit Eisenbändern beschlagenen massiven Tür aus schwarzem Geisterholz endete. Ungefähr in Dreiviertelhöhe war ein Sigul eingeschnitzt, das er inzwischen gut kannte:
     

     
    Hier legte er zwei Gegenstände nieder, den Rest seiner Gunna: Tante Talithas silbernes Kreuz und den ihm verbliebenen Sechsschüsser. Als er sich wieder aufrichtete, sah er, dass die erste Gruppe von Hieroglyphen verblasst war:
     

     
    NICHTGEFUNDEN hatte sich in GEFUNDEN verwandelt.
    Er hob die Linke, als wollte er anklopfen, aber bevor er die Tür berühren konnte, ging sie von selbst auf und gab den Blick auf die unteren Stufen einer aufsteigenden Wendeltreppe frei. Zugleich hörte er eine Stimme, die wie ein Seufzen klang: Willkommen, Roland, du aus dem Geschlecht des Eld. Das war die Stimme des Dunklen Turms. Dieser Bau war keineswegs aus Stein, auch wenn er steinern aussehen mochte; er war ein lebendes Wesen, vermutlich Gan selbst, und der Puls, den Roland schon aus tausend Meilen Entfernung tief in seinem Kopf gespürt hatte, war stets die pulsierende Lebenskraft von Gan gewesen.
    Commala, Revolvermann. Commala-come-come.
    Und dann wehte ihm der Hauch von Alkali entgegen, bitter wie Tränen. Der Geruch von … was? Nach was genau? Bevor er den Geruch einordnen konnte, hatte dieser sich wieder verflüchtigt, sodass Roland annahm, ihn sich nur eingebildet zu haben.
    Er trat über die Schwelle, und das Lied des Turms, das er sein Leben lang gehört hatte – schon in Gilead, wo es in den Wiegenliedern, die seine Mutter ihm gesungen hatte, verborgen gewesen war –, verstummte schließlich. Ein weiteres Seufzen. Die Tür fiel krachend zu, aber er blieb nicht in schwarzer Nacht zurück. Das verbleibende Licht kam vom Leuchten der spiralförmig angeordneten Fenster, in das sich die Glut des Sonnenuntergangs mengte.
    Steinerne Stufen, eben breit genug für einen einzelnen Menschen, führten in die Höhe.
    »Jetzt kommt Roland!«, rief er, und seine Worte schienen sich ins Unendliche emporzuwinden. »Hört mich, ihr im Obergeschoss, und heißt mich gütig willkommen. Seid ihr meine Feinde, so wisst, dass ich unbewaffnet und nicht in böser Absicht komme.«
    Er begann den Aufstieg.
    Neunzehn Stufen brachten ihn zum ersten Treppenabsatz (und zu jedem darauf folgenden). Hier stand eine Tür offen, hinter der ein kleiner runder Raum lag. In die Steine seiner Wand waren tausende von sich überlappenden Gesichtern eingehauen. Viele erkannte er (eines davon war das Gesicht Calvin Towers, der listig über ein aufgeschlagenes Buch hinwegblickte). Die Gesichter waren ihm zugewandt, und er hörte sie murmeln:
    Willkommen, Roland, du von den vielen Meilen und vielen Welten; willkommen, du aus Gilead, du von Eld.
    Jenseits des Raums befand sich eine weitere Tür zwischen mit Gold abgesetzten dunkelroten Portieren. In ungefähr eindreiviertel Meter Höhe – genau in Rolands Augenhöhe – befand sich ein kleines rundes Fenster, nur wenig größer als das Guckloch eines Banditen. Für einen Augenblick nahm er einen süßen Geruch wahr, und diesen konnte er gleich bestimmen: Er stammte von dem Duftkissen, das seine Mutter ihm zunächst in die Wiege und später in sein erstes richtiges Bett gelegt hatte. Der Geruch brachte jene Tage mit großer Klarheit zurück, so wie Gerüche es stets tun; wenn einer unserer Sinne uns als Zeitmaschine dienen kann, dann ist es der Geruchssinn.
    Dann war er ebenso verschwunden wie der bittere Alkaligeruch.
    Der Raum war unmöbliert, auf dem Fußboden jedoch lag ein einzelner kleiner Gegenstand. Roland trat darauf zu und hob ihn auf. Bei dem Ding handelte es sich um eine kleine Klammer aus Zedernholz, die mit einer Schleife aus blauem Seidenband geschmückt war. Solche Klammern hatte er vor vielen Jahren in Gilead gesehen; er

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