Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
hinein.
Jetzt hab’ ich dich, Miststück, dachte Jimmy. Und ich werde dir eine Scheißangst einjagen. Es ist mir egal, ob du fünf Waisenkinder und nur noch ein Jahr zu leben hast. Ich werde dir nicht weh tun, aber 0 Baby, ich werde dir eine verpassen.
Er erreichte die Umkleidekabine vor dem Abteilungsleiter, sprengte die Tür der Kabine mit der linken Schulter auf, und sie war leer.
Keine schwarze Frau.
Kein Rollstuhl.
Gar nichts.
Er sah den Abteilungsleiter mit weiten Augen an.
»Die andere!« rief der Abteilungsleiter. »Die andere!«
Bevor sich Jimmy in Bewegung setzen konnte, hatte der Abteilungsleiter die Tür der anderen Umkleidekabine aufgerissen. Eine Frau in Leinenrock und Playtex-Büstenhalter schrie spitz auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie war sehr weiß und eindeutig nicht verkrüppelt.
»Pardon«, sagte der Abteilungsleiter und spürte, wie heißes Scharlachrot sein Gesicht überzog.
»Verschwinden Sie von hier, Sie Perversling!« schrie die Frau im Leinenrock und dem BH.
»Ja, Ma’am«, sagte der Abteilungsleiter und machte die Tür zu.
Bei Macy’s hatte der Kunde immer recht.
Er sah Halverson an.
Halverson sah ihn an.
»Was soll diese Scheiße?« fragte Halverson. »Ist sie da hineingegangen oder nicht?«
»Ja, ist sie.«
»Und wo ist sie jetzt?«
Der Abteilungsleiter konnte nur den Kopf schütteln. »Gehen wir zurück und räumen das Durcheinander auf.«
»Sie räumen das Durcheinander auf«, sagte Jimmy Halverson. »Mir ist, als hätte ich den Arsch gerade in neun Stücke zerbrochen.« Pause. »Und um Ihnen die Wahrheit zu sagen, guter Mann, ich bin auch ziemlich verwirrt.«
8
In dem Augenblick, als der Revolvermann hörte, wie die Tür der Umkleidekabine hinter ihm zuschlug, drehte er den Rollstuhl halb herum und sah nach der Tür. Wenn Eddie getan hatte, was er angedroht hatte, würde sie verschwunden sein.
Aber die Tür stand offen. Roland rollte die Herrin der Schatten hindurch.
DRITTES KAPITEL
Odetta auf der anderen Seite
1
Nicht lange danach dachte Roland: Jede andere Frau, verkrüppelt oder sonstwie, die unvermittelt den Gang des Kaufhauses, in dem sie Geschäfte machte – falsche Geschäfte, konnte man sagen –, entlanggeschoben wurde, obendrein von einem Fremden in ihrem Kopf in eine kleine Kabine hinein, während ein anderer Mann hinter ihr herschrie, sie solle stehenbleiben, die dann plötzlich umgedreht und weitergeschoben wurde, obwohl eigentlich kein Platz zum Schieben mehr da war, und die sich dann mit einem Mal in einer völlig fremden Welt wiederfand… ich glaube, unter diesen Umständen hätte jede andere Frau mit ziemlicher Sicherheit vor allem anderen gefragt »Wo bin ich?«
Statt dessen fragte Odetta Holmes in beinahe freundlichem Tonfall: »Was genau haben Sie mit diesem Messer vor, junger Mann?«
2
Roland sah zu Eddie empor, der über ihm kauerte und das Messer weniger als einen Zentimeter von seiner Haut entfernt hielt. Nicht einmal mit seiner erstaunlichen Geschwindigkeit hätte der Revolvermann sich schnell genug bewegen können, der Klinge zu entkommen, sollte Eddie planen, sie einzusetzen.
»Ja«, sagte Roland. »Was hast du denn damit vor?«
»Ich weiß nicht«, sagte Eddie, der sich wie von sich selbst angeekelt anhörte. »Köder schneiden, schätze ich. Sieht aber nicht so aus, als wäre ich zum Angeln hierhergekommen, was?«
Er warf das Messer zum Rollstuhl der Herrin, aber etwas rechts davon. Es blieb zitternd bis zum Heft im Sand stecken.
Dann drehte die Herrin den Kopf und fing an: »Ich frage mich, ob Sie mir vielleicht erklären könnten, wohin Sie mich gebracht ha…«
Sie verstummte. Sie hatte Ich frage mich, ob Sie gesagt, bevor sie sich weit genug herumgedreht hatte, um zu sehen, daß niemand hinter ihr stand. Der Revolvermann stellte mit echtem Interesse fest, daß sie noch einen Augenblick weitersprach, denn ihre Lebensumstände machten gewisse Dinge zu grundlegenden Wahrheiten ihres Lebens: Wenn sie sich zum Beispiel bewegt hatte, mußte sie jemand bewegt haben. Aber es war niemand hinter ihr.
Überhaupt niemand.
Sie sah wieder zu Eddie und dem Revolvermann, ihre dunklen Augen waren besorgt, verwirrt und erschreckt, und jetzt fragte sie: »Wo bin ich? Wer hat mich geschoben? Wie kann ich hier sein? Wie kann ich überhaupt angezogen sein, wo ich doch gerade im Bademantel zu Hause war und mir die Zwölfuhrnachrichten angesehen habe? Wer bin ich? Wo sind wir hier? Wer sind
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