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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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fest, und denk an dein Zuhause.«
    Tim hielt sie mit beiden Händen vor sich und dachte an Tree: an die Hauptstraße, die Schmiede mit dem Leichensalon zwischen sich und dem Friedhof, die Farmen, die Sägemühle am Fluss, das Häuschen der Witwe und – vor allem – sein eigenes. Der Dibbin stieg höher, schwebte einen Augenblick lang über dem Dogan (als wäre er noch unschlüssig, welche Richtung er einschlagen sollte) und flog dann, dem Pfad des Stoßwinds folgend, nach Süden. Anfangs bewegte er sich nur langsam, aber als sein Schatten auf das noch vereiste Gewirr aus Baumstämmen fiel, das bis gestern noch Millionen Hektar Urwald gewesen war, wurde er schneller.
    Ein schrecklicher Gedanke überfiel Tim: Was war, wenn der Stoßwind über Tree hergefallen war, sodass alle, auch Nell Ross, binnen weniger Augenblicke erfroren waren? Er drehte sich um und wollte Maerlyn danach fragen, aber der Zauberer war schon längst nicht mehr zu sehen. Tim sollte ihm noch einmal begegnen, aber als das geschah, war er selbst schon ein alter Mann. Das ist jedoch eine Geschichte für ein andermal.

Der Dibbin stieg höher, bis die Welt  
    unter ihnen wie eine Landkarte ausgebreitet dalag. Die Magie, die Tim und den Tyger vor dem Stoßwind geschützt hatte, bewährte sich weiterhin, denn obwohl er die letzten eisigen Atemzüge des gewaltigen Sturms spüren konnte, war ihm behaglich warm. Er saß wie ein junger Prinz aus der Mohainewüste auf einem Elefanten mit untergeschlagenen Beinen auf dem fliegenden Tischtuch und hielt Garudas Feder vor sich. Er fühlte sich wie Garuda, der über einer endlosen Wildnis schwebte, deren dunkles Grün fast schwarz war. Trotzdem wies dieses Grün eine lange, graue Narbe auf, so als ließe ein aufgeschlitztes Kleid ein schmutziges Unterkleid sehen. Der Stoßwind hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen, aber der Wald als Ganzes hatte kaum gelitten. Die Spur des Stoßwinds war nicht breiter als vierzig Räder.
    Trotzdem hatte eine Breite von vierzig Rädern genügt, den Fagonard zu verwüsten. Das schwarze Sumpfwasser war zu gelblich weißen Eisschollen gefroren. Die aus dem Wasser ragenden knorrigen, grauen Bäume waren alle zersplittert und umgestürzt. Die Grasinseln waren nicht mehr grün; sie schienen jetzt aus Milchglas zu bestehen.
    Das Boot des Stammes war vor einem dieser Hügel auf Grund gelaufen und lag schräg auf der Seite. Tim musste an Steuermann und Großmann und alle anderen denken und brach in bittere Tränen aus. Wären sie nicht gewesen, würde er jetzt erfroren auf einem der Inselchen zweihundert Meter unter ihm liegen. Die Sumpfbewohner hatten ihn gerettet und ihm seine gute Fee Daria geschenkt. Das war einfach nicht gerecht, nicht gerecht, nicht gerecht! So rief sein Kinderherz, und dabei starb sein Kinderherz ein wenig. Denn auch das ist der Lauf der Welt.
    Bevor er den Fagonard hinter sich ließ, sah er noch etwas, was ihm Herzschmerzen bereitete: einen großen dunklen Fleck, wo das Eis geschmolzen war. Rußige Eisschollen dümpelten um einen großen, gepanzerten Kadaver, der wie ein gestrandetes Schiff auf der Seite lag. Das war der Weiberdrache, der ihn verschont hatte. Tim konnte sich vorstellen – aye, nur allzu gut –, wie der Drache mit feurigen Atemstößen gegen die Kälte hatte ankämpfen müssen, bis der Stoßwind zuletzt doch, wie überall im Fagonard, Sieger geblieben war. Das weite Sumpfgebiet war nur noch eine todesstarre Eiswüste.

Über dem Eisenholzpfad  
    ging der Dibbin tiefer. Er sank sanft herab und setzte am Cosington/Marchly-Abzweig auf. Bevor er den Boden erreichte, hatte Tim noch beobachten können, dass der Stoßwind, der ursprünglich genau nach Süden unterwegs gewesen war, nach Westen geschwenkt war. Und die Schäden schienen hier geringer zu sein, so als wäre der Sturm bereits in höhere Luftschichten abgelenkt worden. Das ließ Tim hoffen, dass sein Dorf verschont geblieben war.
    Er betrachtete den Dibbin nachdenklich, dann bewegte er die Hände über ihn hinweg. »Falten!«, sagte er (und kam sich dabei ein bisschen dämlich vor). Der Dibbin tat nichts dergleichen, aber als Tim sich bückte, um selbst Hand anzulegen, faltete das Tuch sich einmal, dann zweimal, dann dreimal zusammen, wobei es immer kleiner, aber keineswegs dicker wurde. Binnen Sekunden sah es wie eine auf dem Weg liegende gewöhnliche Leinenserviette aus. Allerdings nicht wie eine, die man hätte benutzen wollen, denn mitten auf der Oberseite prangte ein

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