Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
schmalen Linie des Hasses zusammengepreßt, die nicht zitterte.
    »Ich bedauere«, sagte Cuthbert mit einer Stimme atemloser Selbstbeherrschung. »Ich habe das Antlitz meines Vaters vergessen, dessen Pistolen ich eines Tages zu tragen hoffe.«
    »Ganz recht, Balg«, sagte Cort. »Du wirst darüber nachdenken, was du falsch gemacht hast, und dein Nachdenken durch Hunger unterstützen. Kein Abendessen. Kein Frühstück.«
    »Seht!« rief Roland. Er deutete nach oben.
    Der Falke war jetzt über der fliegenden Taube. Er schwebte einen Augenblick mit ausgestreckten, muskulösen Schwingen reglos in der ruhigen, weißen Frühlingsluft. Dann legte er die Flügel an und stieß wie ein Stein herab. Die beiden Vögel prallten zusammen, und Roland bildete sich einen Augenblick ein, er könnte Blut in der Luft sehen… aber das konnte er sich auch nur eingebildet haben. Der Falke stieß einen kurzen Triumphschrei aus. Die Taube flatterte wirbelnd zu Boden, und Roland lief auf die Stelle zu, wo der Vogel landete, und ließ Cort und den gezüchtigten Cuthbert hinter sich zurück.
    Der Falke war neben seiner Beute gelandet und hackte selbstgefällig in die weiße Brust. Ein paar Federn schwebten langsam herab.
    »David!« rief der Junge und warf dem Falken ein Stück Kaninchenfleisch aus seinem Beutel zu. Der Falke fing es im Flug auf und verschlang es, indem er Kopf und Hals aufwärts reckte, und Roland versuchte, den Vogel wieder an die Leine zu nehmen.
    Der Falke wirbelte beinahe gleichgültig herum und riß einen langen, baumelnden Hautfetzen aus Rolands Arm. Dann machte er sich wieder über seine Mahlzeit her.
    Roland formte die Leine mit einem schmerzerfüllten Stöhnen wieder zu einer Schlinge, und dieses Mal wehrte er Davids herabstoßenden, messerscharfen Schnabel mit dem Lederhandschuh ab, den er trug. Er gab dem Falken noch ein Stück Fleisch und streifte ihm die Haube über. David kletterte lammfromm auf sein Handgelenk.
    Er stand stolz da und hielt den Falken auf dem Arm.
    »Was ist das?« fragte Cort und deutete auf die blutende Wunde an Rolands Unterarm. Der Junge wappnete sich für den Schlag und preßte die Lippen zusammen, damit er nicht schrie, aber es kam kein Schlag.
    »Er hat nach mir gepickt«, sagte Roland.
    »Du hast ihn gereizt«, sagte Cort. »Der Falke hat keine Angst vor dir, Junge, und der Falke wird nie welche haben. Der Falke ist Gottes Revolvermann.«
    Roland sah Cort nur an. Er war kein Junge mit viel Fantasie, und wenn Cort ihm eine Moral hatte vermitteln wollen, so verstand er sie nicht; er war so pragmatisch zu glauben, daß dies eine der wenigen albernen Bemerkungen war, die er Cort jemals hatte von sich geben hören.
    Cuthbert kam von hinten näher und streckte Cort hinter dessen Rücken sicher die Zunge heraus. Roland lächelte nicht, sondern nickte ihm zu.
    »Geht jetzt«, sagte Cort und nahm den Falken. Er deutete auf Cuthbert. »Aber vergiß nicht dein Nachdenken, Wurm. Und dein Fasten. Heute abend und morgen früh.«
    »Ja«, sagte Cuthbert nun steif und förmlich. »Danke für diesen lehrreichen Tag.«
    »Du lernst«, sagte Cuthbert, »aber deine Zunge hat die schlechte Angewohnheit, aus deinem dummen Mund herauszuhängen, wenn dir dein Lehrmeister den Rücken zugewendet hat. Vielleicht wird der Tag kommen, da du und sie lernen, wohin ihr beide gehört.« Er schlug Cuthbert erneut, diesesmal direkt zwischen die Augen und so heftig, daß Roland das dumpfe Plumpsen hören konnte – das Geräusch, das der Hammer erzeugt, wenn ein Küchenjunge ein Faß Bier anzapft. Cuthbert fiel rückwärts auf den Rasen, und seine Augen waren anfangs umwölkt und benommen. Dann klärten sie sich, und er sah brennend zu Cort auf, sein Haß war unverhohlen, und in der Mitte eines jeden Auges leuchtete ein Stecknadelkopf, der so hell war wie das Blut der Taube.
    Cuthbert nickte und verzog die Lippen zu einem so furchteinflößenden Lächeln, wie Roland es noch niemals gesehen hatte.
    »Dann gibt es noch Hoffnung für dich«, sagte Cort. »Wenn du der Meinung bist, daß du es kannst, dann komm zu mir, Wurm.«
    »Woher habt Ihr es gewußt?« sagte Cuthbert zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Cort drehte sich so heftig zu Roland herum, daß dieser um ein Haar einen Schritt zurückgewichen wäre – und dann hätten sie beide auf dem Gras gelegen und das frische Grün mit ihrem Blut verziert. »Ich sah dein Spiegelbild in den Augen dieses Wurms«, sagte er. »Vergiß das nicht, Cuthbert. Die letzte

Weitere Kostenlose Bücher