Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
spiralförmig an der S-Form am Ende des Schlüssels ab. Eddie arbeitete schnell, drehte den Schlüssel hierhin und dorthin und machte gelegentlich die Augen zu, während er mit dem Daumen über die flachen Vertiefungen strich. Er versuchte, nicht daran zu denken, was passieren würde, sollte er die Kerben falsch schnitzen – das hätte ihn todsicher gelähmt.
Roland und Susannah saßen hinter ihm und sahen ihm schweigend zu. Schließlich legte Eddie das Messer weg. Sein Gesicht war schweißgebadet. »Dieser Junge«, sagte er. »Dieser Jake. Das muß ein tollkühner Bengel sein.«
»Er war tapfer unter den Bergen«, sagte Roland. »Er hatte Angst, ließ es sich aber nicht anmerken.«
»Ich wünschte, ich könnte auch so sein.«
Roland zuckte die Achseln. »Bei Balazar hast du gut gekämpft, obwohl sie dir die Kleidung weggenommen hatten. Es ist sehr schwer für einen Mann, nackt zu kämpfen, aber du hast es geschafft.«
Eddie versuchte, sich an die Schießerei im Nachtclub zu erinnern, aber sie war nur verschwommen in seiner Erinnerung vorhanden – Rauch, Lärm und Licht, das als Wirrwarr von Strahlen durch eine Wand schien. Er glaubte, daß diese Wand vom Feuer automatischer Waffen zerfetzt worden war, konnte sich aber nicht mit Sicherheit daran erinnern.
Er hielt den Schlüssel hoch, so daß sich dessen Zähne deutlich vor dem Feuerschein abhoben. So hielt er ihn lange Zeit und betrachtete hauptsächlich die S-Form. Diese sah genau so aus, wie er sie aus seinem Traum und der kurzen Vision im Feuer in Erinnerung hatte… aber sie schien nicht ganz richtig zu sein. Fast, aber nicht ganz.
Das ist nur wieder Henry. Das liegt nur daran, weil du jahrelang nie gut genug gewesen bist. Du hast es geschafft, Kumpel – aber der Henry in dir will es nicht zugeben.
Er ließ den Schlüssel auf das Stück Leder fallen und schlug es vorsichtig zusammen. »Ich bin fertig. Ich weiß nicht, ob er richtig ist oder nicht, aber besser kann ich ihn nicht machen.« Jetzt, wo er nicht mehr an dem Schlüssel arbeiten konnte, fühlte er sich seltsam leer.
»Möchtest du etwas essen, Eddie?« fragte Susannah leise.
Das ist dein Ziel, dachte er. Da ist deine Richtung. Sie sitzt genau da drüben und hat die Hände im Schoß gefaltet. Mehr Ziel und Orientierung brauchst du nicht…
Aber dann tauchte etwas anderes in seinem Verstand auf – es kam ohne Vorwarnung. Kein Traum… keine Vision…
Nein, keins von beiden. Es ist eine Erinnerung. Es geschieht wieder – du erinnerst dich vorwärts in der Zeit.
»Vorher muß ich noch etwas anderes machen«, sagte er und stand auf.
Auf der anderen Seite des Feuers hatte Roland seltsam geformte Stücke Feuerholz aufgeschichtet. Eddie durchsuchte es und fand einen etwa sechzig Zentimeter langen Ast mit einem Durchmesser von acht Zentimetern. Diesen nahm er, ging wieder zu seinem Platz am Feuer und holte erneut Rolands Messer hervor. Diesmal arbeitete er schneller, weil er den Ast nur anspitzte und in eine Art Zeltpflock verwandelte.
»Könnten wir vor Tagesanbruch aufbrechen?« fragte er den Revolvermann. »Ich glaube, wir sollten zu diesem Kreis, so schnell wir können.«
»Ja. Noch früher, wenn es sein muß. Ich möchte nicht gerne im Dunkeln reisen – ein sprechender Ring ist nachts keine sichere Stätte –, aber wenn es sein muß, muß es eben sein.«
»Wenn ich mir dein Gesicht ansehe, großer Junge, dann bezweifle ich, daß diese Steinringe jemals sichere Stätten sind.«
Eddie legte das Messer wieder weg. Die Erde, die Roland aus der flachen Feuerstelle ausgehoben hatte, war neben Eddies rechtem Fuß aufgeschichtet. Nun malte er mit dem zugespitzten Ende des Asts ein Fragezeichen in den Boden. Das Fragezeichen war klar und deutlich.
»Okay«, sagte er und verrieb es wieder. »Fertig.«
»Dann iß etwas«, sagte Susannah.
Eddie versuchte es, aber er hatte keinen großen Hunger. Als er endlich an Susannah gekuschelt einschlief, war sein Schlaf traumlos, aber leicht. Bis der Revolvermann ihn um vier Uhr morgens wachrüttelte, hörte er den Wind endlos über die Ebene unter ihnen fegen, und ihm schien, als würde er ihn begleiten, hoch in die Nacht fliegen, fort von allen Sorgen, während der Alte Stern und die Alte Mutter feierlich über ihm standen und seine Wangen mit Frost bemalten.
19
»Es ist Zeit«, sagte Roland.
Eddie richtete sich auf. Susannah erhob sich neben ihm und strich mit den Handflächen über das Gesicht. Als Eddies Kopf klarer wurde, erfüllte
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