Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
weicher und begann zu zittern. Er nahm die Hand vom Sandelholzgriff von Rolands Revolver. Seine Brust hob sich einmal… zweimal… dreimal. Er machte den Mund auf und ließ seine ganze Verzweiflung und sein Grauen mit einem einzigen stöhnenden Aufschrei entweichen, während er auf den Revolvermann zustapfte.
»Ich habe Angst, du Dummkopf! Begreifst du das denn nicht? Roland, ich habe Angst!«
Er stolperte über die eigenen Füße. Er fiel vornüber. Roland fing ihn und drückte ihn an sich; er roch Schweiß und Schmutz auf der Haut, roch Eddies Tränen und seine Angst.
Der Revolvermann umarmte ihn einen Augenblick, dann drehte er ihn zu Susannah um. Eddie sank neben ihrem Rollstuhl auf die Knie und ließ niedergeschlagen den Kopf hängen. Sie legte ihm eine Hand auf den Nacken, drückte seinen Kopf an ihren Oberschenkel und sagte verbittert zu Roland: »Manchmal hasse ich dich, großer weißer Mann.«
Roland legte die Handballen an die Stirn und drückte fest zu. »Manchmal hasse ich mich selbst.«
»Das hindert dich aber nie, oder?«
Roland antwortete nicht. Er sah Eddie an, der den Kopf an Susannahs Schenkel gedrückt hatte und die Augen fest zusammenkniff. Sein Gesicht war eine Studie des Elends.
Roland schüttelte die lähmende Müdigkeit ab, die ihn veranlassen wollte, den Rest dieser netten Unterhaltung auf einen anderen Tag zu verschieben. Wenn Eddie recht hatte, gab es aber keinen anderen Tag. Jake war fast bereit für den Übergang. Und Eddie war auserwählt worden, dem Jungen als Hebamme in diese Welt zu helfen. Wenn er dazu nicht bereit war, würde Jake beim Transfer sterben, so sicher wie ein Baby erstickt, falls die Nabelschnur um seinen Hals geschlungen ist, wenn der Geburtsvorgang beginnt.
»Steh auf, Eddie.«
Einen Moment dachte er, Eddie würde einfach in seiner kauernden Haltung bleiben und das Gesicht am Bein dieser Frau verbergen. Wenn ja, war alles verloren… und auch das war Ka. Dann erhob sich Eddie langsam. Er stand da und ließ alles – Hände, Schultern, Kopf, Haar – hängen, was nicht gut war, aber er stand immerhin, und das war ein Anfang.
»Sieh mich an.«
Susannah regte sich unbehaglich, aber diesmal sagte sie nichts.
Eddie hob langsam den Kopf und strich sich mit einer zitternden Hand das Haar aus den Augen.
»Dies gehört dir. Es war falsch, daß ich es überhaupt angenommen habe, wie groß meine Schmerzen auch waren.« Roland schloß die Hand um die Wildlederschnur, zog und riß sie ab. Er hielt Eddie den Schlüssel hin. Eddie griff danach wie ein Mann in einem Traum, aber Roland öffnete die Hand nicht sofort.
»Wirst du versuchen zu tun, was getan werden muß?«
»Ja.« Seine Stimme war kaum hörbar.
»Hast du mir etwas zu sagen?«
»Es tut mir leid, daß ich Angst habe.« Etwas Schreckliches klang in Eddies Stimme mit, was Roland im Herzen weh tat, und er überlegte sich, daß er wußte, was es war: Er hatte den letzten Rest von Eddies Krankheit vor sich, der unter Qualen zwischen ihnen dreien verendete. Man konnte ihn nicht sehen, aber Roland konnte seine sterbenden Schreie hören und versuchte, sich taub zu stellen.
Wieder etwas, das ich im Namen des Turms getan habe. Meine Liste wird immer länger, und der Tag, da ich sie vorlegen muß wie ein Trunkenbold die Rechnung in einer Schänke, rückt immer näher. Wie soll ich sie jemals bezahlen?
»Ich will keine Entschuldigung, am allerwenigsten dafür, daß du Angst hast«, sagte er. »Was wären wir ohne Angst? Tolle Hunde mit Schaum vor dem Maul und Scheiße, die an unseren Aftern trocknet.«
»Was willst du dann?« schrie Eddie. »Du hast alles andere genommen – alles, was ich zu geben hatte! Also was willst du noch von mir?«
Roland hielt den Schlüssel, der ihre Hälfte von Jake Chambers’ Rettung war, in der geballten Faust und sagte nichts. Er sah Eddie direkt in die Augen, und die Sonne schien auf die weite grüne Ebene und das blaugraue Band des Flusses Send, und irgendwo in der Ferne krächzte die Krähe erneut im goldenen Licht dieses dämmernden Sommernachmittags.
Nach einer Weile leuchtete Verstehen in Eddie Deans Augen auf.
Roland nickte.
»Ich habe das Gesicht…« Eddie verstummte. Neigte den Kopf. Schluckte. Sah den Revolvermann wieder an. Das Ding, das zwischen ihnen gestorben war, war jetzt fortgegangen – Roland wußte es. Das Ding war nicht mehr. Einfach so. Hier, auf dieser sonnigen, windigen Kuppe am Rand der Welt, war es für immer dahingegangen. »Ich habe das Gesicht meines
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