Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
auf einem Knie davor kauerte. Der vorderste Mann trug einen kiltartigen Rock und einen Säbel. Diesen schwang er erbittert (und hätte die dicke Frau gleich hinter ihm enthauptet, wenn diese sich nicht geduckt hätte) und griff an. Die anderen folgten und johlten glücklich.
Rolands Revolver ergoß seinen grellen Donner in den verhangenen Tag, und die Schädeldecke des Pube im Kilt hob ab. Die teigige Haut der Frau, die fast von seinem Säbel geköpft worden wäre, wurde plötzlich von einem roten Regen übergossen, worauf sie ihrem Mißfallen bellend Ausdruck verlieh. Die anderen stürmten mit wütend rollenden Augen an der Frau und dem Toten vorbei.
»Eddie!« schrie Susannah und feuerte wieder. Ein Mann mit Seidencape und Kniestiefeln brach auf der Straße zusammen.
Eddie tastete nach der Ruger und dachte einen panischen Augenblick, er hätte sie verloren. Der Griff der Waffe war irgendwie in den Bund seiner Hose gerutscht. Er legte die Hand darum und zog heftig. Das Scheißding kam nicht heraus. Die Kimme am Ende des Laufs hatte sich irgendwie in Eddies Unterwäsche verfangen.
Susannah feuerte rasch nacheinander drei Schuß. Jeder traf sein Ziel, aber die anstürmenden Pubes wurden nicht langsamer.
»Eddie, hilf mir!«
Eddie riß die Hose auf, wobei er sich wie ein Superman-Verschnitt vorkam, und schaffte es endlich, die Ruger herauszuziehen. Er entsicherte mit dem linken Handballen, stützte den Ellbogen oberhalb des Knies auf den Schenkel und fing an zu schießen. Er mußte nicht denken – nicht einmal zielen. Roland hatte ihnen gesagt, daß die Hände eines Revolvermanns im Kampf alleine arbeiteten, und Eddie stellte fest, daß das stimmte. Aber es wäre auf die Entfernung selbst einem Blinden schwergefallen danebenzuschießen. Susannah hatte die Anzahl der anstürmenden Pubes auf nicht einmal fünfzehn reduziert; Eddie fegte durch die anderen wie ein Sturm durchs Getreidefeld und mähte vier weitere in nicht einmal zwei Sekunden nieder.
Jetzt bröckelte das Antlitz des Mobs, dieser glasige Ausdruck hirnlosen Eifers. Der Mann mit dem Hammer warf unvermittelt die Waffe weg und gab Fersengeld, wobei er mit seinen arthritisverkrümmten Beinen außergewöhnlich hinkte. Zwei weitere folgten ihm. Die anderen zauderten unentschlossen auf der Straße.
»Kommt schon, ihr Memmen!« rief ein vergleichsweise junger Mann höhnisch. Er trug einen blauen Schal um den Hals wie die Krawatte eines Rennfahrers. Er war kahl, abgesehen von zwei zottigen Haarbüscheln an beiden Seiten des Kopfs. Susannah fand, der Mann sah wie Clarabelle der Clown aus, Eddie dagegen war der Meinung, er glich Ronald McDonald; beide waren sich darin einig, daß er wie ein Tunichtgut aussah. Er warf einen selbstgebastelten Speer, der sein Leben einmal als Tischbein begonnen haben mochte. Dieser fiel harmlos rechts von Eddie und Susannah auf die Straße. »Kommt schon, sag ich! Wir kriegen sie, wenn wir alle zusam…«
»Tut mir leid, Junge«, sagte Eddie und schoß ihm in die Brust.
Clarabelle/Ronald stolperte rückwärts und griff mit einer Hand an sein Hemd. Er betrachtete Eddie mit riesigen Augen, die seine Geschichte mit herzzerreißender Deutlichkeit erzählten: So war das nicht gedacht gewesen. Die Hand des jungen Mannes sank schlaff herunter. Ein Rinnsal Blut, das in dem grauen Tag unvorstellbar hellrot wirkte, floß ihm aus dem Mundwinkel. Die wenigen überlebenden Pubes sahen stumm zu, wie er auf die Knie sank; einer lief weg.
»Nicht doch«, sagte Eddie. »Bleib stehen, mein geistig behinderter Freund, sonst bekommst du einen Blick auf die Lichtung, wo dein Weg zu Ende ist.« Er sprach lauter weiter. »Laßt sie fallen, Jungs und Mädels! Alle! Sofort!«
»Du…« flüsterte der sterbende Mann. »Du… Revolvermann?«
»Ganz recht«, sagte Eddie. Er ließ den Blick grimmig über die verbliebenen Pubes schweifen.
»Erflehe deine… Verzeihung«, keuchte der Mann mit den roten Haarflusen, dann fiel er vornüber aufs Gesicht.
»Revolverleute?« fragte einer der anderen. Sein Tonfall drückte aufkeimendes Entsetzen und Begreifen aus.
»Nun, du scheinst dumm zu sein, aber nicht taub«, sagte Susannah, »und das ist ja schon mal was.« Sie winkte mit dem Lauf des Revolvers, der, davon war Eddie überzeugt, leer sein mußte. Und da er schon einmal dabei war: Wieviel Schuß konnten noch in der Ruger sein? Er stellte fest, daß er keine Ahnung hatte, wieviel Schuß das Magazin fassen konnte, und schalt sich stumm einen Narren… aber
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