Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
echt durchlebten. Sie waren zu keinen richtigen Gefühlen fähig, wußten sie doch, daß sie an einem so grausamen Auserwählen teilnehmen mußten, und das nicht einmal im Jahr, wie in der Geschichte, sondern zwei- oder dreimal täglich.
»Warum?« fragte sie die blutige Frau mit schroffer, verängstigter Stimme. »Warum habt ihr das getan?«
Die Frau sah Susannah an, als wäre diese die größte Närrin der Welt. »Warum? Damit die Geister, was innen Maschinen leben, nich die Körper von denen übernehmen, was hier gestorben sind – Pubes und Graue gleichermaßen –, und sie durch die Löcher innen Straßen raufschicken, damit se uns fressen. Jeder Narr weiß das.«
»Es gibt keine Geister«, sagte Susannah und fand selbst, daß sich ihre Stimme wie ein sinnloses Quaken anhörte. Natürlich gab es welche. In dieser Welt gab es überall Geister. Dennoch blieb sie beharrlich. »Was ihr die Gottestrommeln nennt, ist nur ein Band, das in einer Maschine klemmt. Das ist alles.« Plötzlich hatte sie eine Inspiration und fügte hinzu: »Oder vielleicht machen die Grauen es absichtlich, habt ihr darüber schon mal nachgedacht? Sie hausen im anderen Stadtteil, richtig? Und auch darunter? Sie wollten euch immer fort haben. Vielleicht haben sie nur eine richtig wirksame Methode gefunden, wie ihr ihnen die Arbeit abnehmt.«
Die blutige Frau stand neben einem Mann, der die scheinbar älteste Melone der Welt trug, dazu ein Paar ausgefranste Khakihosen. Nun trat er vor und sprach mit einer Patina guter Manieren zu ihr, die seine grundsätzliche Verachtung in einen Dolch mit rasiermesserscharfen Klingen verwandelte. »Da irren Sie sich, Madam Revolverfrau. Es existieren eine ganze Menge Maschinen unter Lud, und in allen hausen Gespenster – dämonische Geister, die sterblichen Männern und Frauen nur Böses wollen. Diese Dämonen sind durchaus in der Lage, die Toten auferstehen zu lassen… und in Lud gibt es eine Menge Tote zum Wiedererwecken.«
»Hör mal«, sagte Eddie. »Hast du jemals einen von diesen Zombies mit eigenen Augen gesehen, Jeeves? Irgendeiner von euch?«
Jeeves schürzte die Lippen und sagte nichts – aber dieses Schürzen sagte auch alles. Was, sagte es, konnte man schon anderes von Ausländern erwarten, die Pistolen statt Verständnis hatten?
Eddie entschied, daß es das Beste wäre, diesen gesamten Teil der Unterhaltung abzuschließen. Er war sowieso nie für Missionierungsarbeiten geschaffen gewesen. Er wedelte mit der Ruger vor der blutbespritzten Frau. »Du und dein Freund da – der aussieht wie ein englischer Butler an seinem freien Tag –, ihr werdet uns zum Bahnhof bringen. Danach können wir uns alle auf Wiedersehen sagen. Und soll ich euch mal was verraten? Das wird mir den Scheißtag gewaltig versüßen.«
»Bahnhof?« fragte der Mann, der wie Jeeves der Butler aussah. »Was ist ein Bahnhof?«
»Bringt uns zur Krippe«, sagte Susannah. »Bringt uns zu Blaine.«
Das rüttelte Jeeves schließlich doch auf; ein Ausdruck schockierten Entsetzens verdrängte die überdrüssige Verachtung, mit der er sie bislang behandelt hatte. »Da könnt ihr nicht hingehen!« schrie er. »Die Krippe ist verbotenes Gelände und Blaine der gefährlichste von allen Geistern Luds!«
Verbotenes Gelände? dachte Eddie. Toll. Wenn das stimmt, brauchen wir uns wenigstens keine Gedanken mehr um euch Arschlöcher zu machen. Außerdem war es schön zu hören, daß es noch einen Blaine gab … oder diese Leute es immerhin glaubten.
Die anderen betrachteten Eddie und Susannah mit Mienen verständnislosen Staunens; es war, als hätten die Eindringlinge einer Gruppe wiedergeborener Christen vorgeschlagen, die Bundeslade zu suchen und eine öffentliche Toilette daraus zu machen.
Eddie hob die Ruger, bis er die Stirn von Jeeves genau im Visier hatte. »Wir gehen«, sagte er, »und wenn ihr euch nicht hier und jetzt zu euren Vorfahren gesellen wollt, dann schlage ich vor, ihr hört auf, herumzujammern und zu keifen, und bringt uns hin.«
Jeeves und die blutbespritzte Frau wechselten einen unsicheren Blick, aber als der Mann mit der Melone wieder zu Susannah und Eddie sah, war sein Gesichtsausdruck entschlossen. »Dann erschießt uns eben«, sagte er. »Wir sterben lieber hier als dort.«
»Ihr seid eine Bande kranker Arschlöcher mit Wanzen im Hirn!« schrie Susannah sie an. »Niemand muß sterben! Bringt uns einfach hin, wo wir hinwollen, im Namen Gottes!«
Die Frau sagte ernst: »Aber es bedeutet den Tod, Blaines
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