Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Kaninchenloch, erstarren sollen. Nur die Erinnerung an die leise Stimme, die zuerst gesprochen hatte, machte es ihm möglich, sich zusammenzunehmen. Es war die Stimme eines ängstlichen Kindes gewesen, aber sie hatte versucht, ihnen zu helfen, ängstlich oder nicht.
Jetzt mußt du dir selbst helfen, dachte er. Du hast ihn geweckt; kümmere dich um ihn, Herrgott noch mal!
Eddie streckte den Arm aus und drückte wieder den Knopf. »Ich heiße Eddie Dean. Die Frau neben mir ist meine Frau Susannah. Wir…«
Er sah Susannah an, die nickte und ihm mit panischen Gebärden bedeutete weiterzusprechen.
»Wir befinden uns auf einer Suche. Wir suchen den Dunklen Turm, welcher auf dem Pfad des Balkens liegt. Wir sind in Begleitung von zwei anderen, Roland von Gilead und… und Jake von New York. Wenn du…« Er verstummte einen Moment und schluckte die Worte der große Blaine hinunter. Wenn er sie benützte, machte er der Intelligenz hinter der Stimme möglicherweise deutlich, daß sie eine andere Stimme gehört hatten; sozusagen einen Geist im Geist.
Susannah bedeutete ihm erneut weiterzusprechen, diesmal mit beiden Händen.
»Wenn du Blaine, der Mono, bist, dann möchten wir, daß… nun… du uns mitnimmst.«
Er ließ den Knopf los. Eine scheinbar sehr lange Zeit schien keine Antwort zu erfolgen, nur das aufgeregte Flattern der erschrockenen Tauben oben war zu hören. Als Blaine wieder sprach, kam die Stimme nur aus dem Kästchen neben dem Tor und hörte sich fast menschlich an.
»STELLT MEINE GEDULD NICHT AUF DIE PROBE. ALLE TÜREN ZU DIESEM WO SIND VERSCHLOSSEN. GILEAD EXISTIERT NICHT MEHR, UND JENE, DIE MAN REVOLVERMÄNNER NANNTE, SIND ALLE TOT. UND NUN BEANTWORTE MEINE FRAGE: WER SEID IHR? DIES IST EURE LETZTE CHANCE.«
Ein Zischlaut ertönte. Ein Strahl gleißend blauweißen Lichts schoß von der Decke herab und brannte ein Loch so groß wie ein Golfball keine eineinhalb Meter von Susannahs Rollstuhl entfernt in den Marmorboden. Rauch, der wie nach einem Blitzschlag roch, stieg träge davon auf. Susannah und Eddie sahen einander einen Augenblick voll stummem Entsetzen an, dann schnellte Eddie zum Sprechgerät und drückte den Knopf.
»Du irrst dich! Wir stammen wirklich aus New York! Wir sind erst vor wenigen Wochen durch Türen am Strand gekommen!«
»Das stimmt!« rief Susannah. »Ich schwöre es!«
Schweigen. Jenseits der langen Barriere lag Blaine seelenruhig. Das Fenster vorne schien sie wie ein starres Glasauge zu betrachten. Der Wischer hätte ein Lid sein können, das halb zu einem verschlagenen Zwinkern geschlossen war.
»BEWEIST ES«, sagte Blaine schließlich.
»Himmel, wie soll ich das machen?« wandte sich Eddie an Susannah.
»Ich weiß nicht.«
Eddie drückte wieder den Knopf. »Die Freiheitsstatue! Läutet da ein Glöckchen?«
»SPRICH WEITER«, sagte Blaine. Jetzt hörte sich die Stimme fast nachdenklich an.
»Das Empire State Building! Die Aktienbörse! Das World Trade Center! Coney Island Red-Hots! Radio City Music Hall! Das East Vil…«
Blaine unterbrach ihn… und jetzt war die Stimme aus dem Lautsprecher – unfaßbar – die tiefe Stimme von John Wayne.
»OKAY, PILGER. ICH GLAUBE DIR.«
Eddie und Susannah wechselten noch einen Blick, diesmal verwirrt und erleichtert. Aber als Blaine wieder sprach, war die Stimme erneut kalt und emotionslos.
»STELL MIR EINE FRAGE, EDDIE DEAN VON NEW YORK. UND ES SOLLTE BESSER EINE GUTE SEIN.« Nach einer Pause fügte Blaine hinzu: »DENN WENN SIE NICHT GUT IST, WIRST DU MIT DEINER FRAU STERBEN, WOHER IHR AUCH GEKOMMEN SEIN MÖGT.«
Susannah sah von dem Kästchen am Tor zu Eddie. »Wovon redet er?« zischte sie.
Eddie schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
28
Jake fand, der Raum, in den Schlitzer ihn geführt hatte, sah wie ein Minuteman-Raketensilo aus, das von den Insassen eines Irrenhauses geschmückt worden war: teils Museum, teils Wohnzimmer, teils Hippie-Liebesnest. Über ihm erstreckte sich freier Raum bis zu einer halbkugelförmigen Decke, unter ihm fiel er fünfundzwanzig bis dreißig Meter zu einem gleichermaßen gerundeten Boden ab. Um die gesamte gekrümmte Wand herum verliefen vertikale Reihen Neonröhren in wechselnden Farben: rot, blau, grün, gelb, orange, aprikosenfarben, rosa. Die langen Reihen liefen an Boden und Decke des Silos, so es denn eines gewesen war, zu grellbunten Knoten zusammen.
Das Zimmer selbst befand sich etwa in der Mitte der oberen Hälfte des gewaltigen
Weitere Kostenlose Bücher