Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Eddie wohl auch vermutete, was sie so gut wie sicher wusste: Blaine war klar, dass sie seine Fähigkeiten mit einem Spektrum von Rätseln mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad auf die Probe stellten. Blaine wusste es… und genoss es. Susannah spürte, wie Niedergeschlagenheit sie überkam, als ihre Hoffnung schwand, einen einfachen und schnellen Ausweg zu finden.
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»Also«, sagte Eddie, »ich weiß nicht, wie schwer es dir vorkommt, aber für mich war es eine echt harte Nuss.« Eigentlich kannte er die Antwort überhaupt nicht, da der Lösungsteil von Ringelrätselreihen herausgerissen worden war, glaubte jedoch nicht, dass das eine Rolle spielen würde; es gehörte nicht zu den Grundregeln, dass sie die Antworten kennen mussten. »ICH WERDE ZUHÖREN UND ANTWORTEN.«
»Kaum gesprochen, schon gebrochen. Was ist das?«
»SCHWEIGEN, ETWAS, WOVON DU WENIG VERSTEHST, EDDIE VON NEW YORK«, sagte Blaine wie aus der Pistole geschossen, und Eddie spürte, wie ihn der Mut verließ. Es war nicht nötig, mit den anderen zu beratschlagen; die Antwort lag auf der Hand. Und dass sie so schnell gekommen war, das war der echte Hammer. Eddie hätte es niemals zugegeben, aber er hatte die Hoffnung gehegt – insgeheim fast eine Gewissheit –, dass er Blaine mit einem einzigen Rätsel zu Fall bringen konnte, kawumm, und alle Männer des Königs und alle Pferde des Königs konnten Blaine nicht mehr zusammensetzen. Dieselbe innere Gewissheit, überlegte er, die er jedes Mal verspürte, wenn er im Hinterzimmer irgendeines Zockers die Würfel in die Hand genommen oder beim Blackjack bei einer Siebzehn noch eine Karte verlangt hatte. Das Gefühl, dass er nichts falsch machen konnte, weil er eben er war, der Größte, der Einzigartige.
»Ja«, sagte er seufzend. »Schweigen, etwas, wovon ich wenig verstehe. Danke-sai, Blaine, du hast richtig geantwortet.«
»ICH HOFFE, IHR HABT ETWAS HERAUSGEFUNDEN, DAS EUCH HELFEN WIRD«, sagte Blaine, und Eddie dachte: Du beschissener mechanischer Lügner. Blaines Stimme hatte wieder ihren zuversichtlichen Ton angenommen, und Eddie registrierte mit vorübergehendem Interesse, welch ein breites Spektrum an Emotionen eine Maschine doch ausdrücken konnte. Hatten die Großen Alten sie eingebaut, oder hatte sich Blaine an einem bestimmten Punkt selbst seinen emotionalen Regenbogen gebastelt? Eine kleine dipolare Abwechslung, um sich die langen Jahrzehnte und Jahrhunderte zu vertreiben? »MÖCHTET IHR, DASS ICH MICH WIEDER ZURÜCKZIEHE, DAMIT IHR EUCH BERATEN KÖNNT?«
»Ja«, sagte Roland.
Der Streckenplan leuchtete grellrot auf. Eddie drehte sich zum Revolvermann um. Roland setzte hastig einen gefassten Gesichtsausdruck auf, aber zuvor hatte Eddie noch etwas Schreckliches darin entdecken können: einen kurzen Ausdruck vollkommener Hoffnungslosigkeit. Eddie hatte solch eine Miene noch nie gesehen; nicht, als Roland von den Bissen der Monsterhummer gefährlich verletzt worden war; nicht, als Eddie seinen Revolver auf ihn gerichtet hatte; nicht einmal, als der abscheuliche Gasher ihren Jake gefangen genommen hatte und mit ihm in Lud verschwunden war.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Jake. »Eine zweite Runde für uns vier ausdenken?«
»Ich glaube, das hätte wenig Sinn«, sagte Roland. »Blaine muss tausende Rätsel kennen – möglicherweise Millionen –, und das ist nicht gut. Schlimmer allerdings, viel schlimmer, ist die Tatsache, dass er die Technik von Rätseln versteht… die Stelle, die der Verstand aufsuchen muss, damit er sich Rätsel ausdenken und sie lösen kann.« Er drehte sich zu Eddie und Susannah um, die wieder die Arme umeinander gelegt hatten. »Habe ich damit Recht?«, fragte er. »Stimmt ihr mir zu?«
»Ja«, sagte Susannah, und Eddie nickte widerwillig. Er wollte nicht zustimmen… aber ihm blieb keine Wahl.
»Und?«, sagte Jake. »Was sollen wir tun, Roland? Ich meine, es muss doch einen Ausweg geben… Oder nicht?«
Lüg ihn an, du Dreckskerl, sandte Eddie seine Gedanken verbissen in Rolands Richtung.
Roland, der den Gedanken vielleicht sogar gehört hatte, gab sich jedenfalls größte Mühe. Er strich Jake mit der verstümmelten Hand über das Haar und zerzauste es. »Ich glaube, es gibt immer einen Ausweg, Jake. Die entscheidende Frage ist, ob wir genug Zeit haben, das richtige Rätsel zu finden, oder nicht. Er hat behauptet, er braucht etwas weniger als neun Stunden für seine Route…«
»Acht Stunden und fünfundvierzig Minuten«, warf Jake ein.
»…
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