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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Zehntel des Gesetzes aus, oder nicht?
    Sie klemmte das Kästchen unter einen Arm, raffte den Rock mit der freien Hand hoch und rannte den Weg zu ihrer Hütte zurück. Sie konnte noch rennen, wenn es darauf ankam, aye, auch wenn es kaum einer geglaubt hätte.
    Musty lief neben ihr her, streckte den gespaltenen Schwanz in die Höhe, und seine zusätzlichen Beine baumelten im Mondschein auf und ab.

Kapitel 2

P RÜFUNG DER E HRBARKEIT
     
1
     
    Rhea lief hastig in ihre Hütte, eilte an dem prasselnden Kaminfeuer vorbei, blieb an der Tür ihres winzigen Schlafzimmers stehen und strich sich mit einer zerstreuten Geste durch das Haar. Das Flittchen hatte sie nicht vor der Hütte gesehen – sonst hätte sie gewiss mit ihrer Katzenmusik aufgehört oder wäre zumindest ins Stocken geraten – und das war auch gut so, aber das verfluchte Versteck hatte sich wieder versiegelt, und das war schlecht. Und es blieb auch keine Zeit, es wieder zu öffnen. Rhea lief zum Bett, kniete nieder und schob das Kästchen weit nach hinten in den Schatten.
    Aye, das würde genügen; bis Susan Delgado wieder fort war, würde es bestens genügen. Rhea lächelte mit der rechten Seite ihres Mundes (die linke war weitgehend starr), richtete sich auf, strich ihr Kleid zurecht und ging ihrem zweiten Besuch in dieser Nacht entgegen.
     
     

2
     
    Hinter ihr ging der Deckel des Kästchens, das sie nicht verschlossen hatte, mit einem Klicken auf. Er öffnete sich kaum einen Fingerbreit, aber das genügte, dass ein Strahl pulsierenden rosafarbenen Lichts herausdrang.
     
     
3
     
    Susan Delgado blieb etwa vierzig Schritte von der Hütte der Hexe entfernt stehen, und der Schweiß auf ihren Armen und dem Nackenansatz kühlte ab. Hatte sie gerade eine alte Frau erspäht (gewiss die, zu der sie unterwegs war), die die letzten paar Meter von der Hügelkuppe heruntergerannt war? Sie glaubte, ja.
    Hör nicht auf zu singen – wenn eine alte Frau so flink läuft, will sie nicht gesehen werden. Wenn du aufhörst zu singen, wird sie bestimmt wissen, dass sie gesehen wurde.
    Einen Augenblick lang dachte Susan, sie würde trotzdem aufhören – dass sich ihre Erinnerung schließen würde wie eine erschrockene Hand und ihr keine Zeile des alten Lieds mehr einfallen würde, das sie seit ihrer frühesten Kindheit sang. Aber der nächste Vers fiel ihr ein, und sie sang weiter und ging weiter:
     
    »Once my cares were far away,
    Yes, once my cares were far away,
    Now my love has gone from me
    And misery is in my heart to stay.«
     
    Möglicherweise ein schlechtes Lied für eine solche Nacht, aber ihr Herz ging seine eigenen Wege und interessierte sich nicht besonders dafür, was ihr Kopf dachte oder wollte; so war es immer gewesen. Sie fürchtete sich davor, bei Mondschein unterwegs zu sein, wenn angeblich Werwölfe umherstreiften, sie fürchtete sich vor ihrem Auftrag und was dieser Auftrag mit sich brachte. Doch als sie Hambry auf der Großen Straße verlassen hatte und ihr Herz verlangte, dass sie rannte, da war sie gerannt – unter dem Licht des Kussmonds und mit über die Knie hochgezogenem Rock war sie galoppiert wie ein Pony, und ihr Schatten war dicht neben ihr galoppiert. Eine Meile oder mehr war sie gelaufen, bis jeder Muskel an ihr kribbelte und die Luft, die sie durch die Kehle sog, wie eine süße, erwärmte Flüssigkeit schmeckte. Und als sie den Hochlandpfad erreichte, der zu diesem höchst unheilvollen Ort führte, hatte sie gesungen. Weil ihr Herz es verlangt hatte. Und, überlegte sie, so eine schlechte Idee war es nicht gewesen; immerhin hatte es zumindest ihre schlimmste Schwermut fern gehalten. Dafür war Singen immer gut.
    Nun kam sie zum Ende des Pfades und sang den Refrain von »Careless Love«. Als sie in das spärliche Licht trat, das durch die offene Tür auf die Veranda fiel, sprach eine krächzende Stimme, wie die einer Nebelkrähe, aus dem Schatten sie an: »Hör auf mit dem Geheul, Missy – es bohrt sich in mein Gehirn wie ein Angelhaken!«
    Susan, der man ihr ganzes Leben gesagt hatte, dass sie eine angenehme Singstimme besitze, zweifellos von ihrer Großmama geerbt, verstummte sofort fassungslos. Sie stand auf der Veranda und verschränkte die Hände vor der Schürze. Unter der Schürze trug sie ihr zweitbestes Kleid (sie hatte nur zwei). Darunter klopfte ihr Herz heftig.
    Eine Katze – ein abscheuliches Ding mit zwei zusätzlichen Beinen, die wie Fleischgabeln aus den Flanken ragten – kam als Erste zur Tür. Die Katze

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