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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Wunsch meines Herrn, des Bürgermeisters von Mejis, hergekommen, und auf den meiner Tante Cordelia, der Schwester meines Vaters. Meines geliebten Vaters, über den ich keine bösen Worte hören möchte.«
    »Ich spreche, wie ich es gewohnt bin«, sagte die alte Frau. Die Worte klangen wegwerfend, aber die Stimme der Vettel drückte eine Andeutung von schmeichelnder Unterwürfigkeit aus. Susan maß dem keine besondere Bedeutung bei; es war ein Ton, den ein Weib wie dieses wahrscheinlich ihr Leben lang angenommen hatte und der ihr so sehr zur Gewohnheit wurde wie das Atmen. »Ich habe lange Zeit allein gelebt, mit keiner Herrin außer mir selbst, und wenn sie erst einmal angefangen hat, macht meine Zunge, was sie will.«
    »Dann wäre es vielleicht manchmal besser, sie gar nicht erst anfangen zu lassen.«
    Die Augen der alten Frau blitzten hässlich auf. »Hüte deine eigene, freches Ding, sonst findest du sie vielleicht einmal tot in deinem Mund, wo sie verrotten wird, sodass der Bürgermeister es sich zweimal überlegt, dich zu küssen, wenn er ihren Gestank riecht, aye, selbst unter einem Mond wie dem jetzigen!«
    Elend und Bestürzung erfüllten Susans Herz. Sie war nur mit einem im Sinn hierher gekommen: die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, einen kaum erklärten Ritus, der wahrscheinlich schmerzhaft und mit Sicherheit beschämend war. Nun sah diese alte Frau sie mit offensichtlichem und nacktem Hass an. Wie hatte alles nur so schnell schief gehen können? Oder war es mit Hexen immer so?
    »Wir haben einen schlechten Start erwischt, Herrin – können wir noch einmal anfangen?«, fragte Susan plötzlich und streckte die Hand aus.
    Die Vettel sah verblüfft drein, aber sie streckte die Hand aus und stellte einen kurzen Kontakt her, wobei ihre runzligen Fingerspitzen die Finger des sechzehnjährigen Mädchens mit den kurz geschnittenen Nägeln berührten, das mit reinem Gesicht und auf dem Rücken zu einem Zopf geflochtenen langen Haar vor ihr stand. Susan musste sich sehr anstrengen, bei der Berührung nicht das Gesicht zu verziehen, so kurz sie auch war. Die Finger der alten Frau waren kalt wie die einer Toten, aber Susan hatte früher schon kalte Hände berührt (»Kalte Hände, warmes Herz«, sagte Tante Cord manchmal). Das wirklich Unangenehme war die Beschaffenheit, der Eindruck von kaltem, schwammigem Fleisch, das lose an den Knochen hing, als wäre die Frau, der die Finger gehörten, schon vor langer Zeit ertrunken und hätte in einem Teich gelegen.
    »Nay, nay, es gibt keinen Neuanfang«, sagte die alte Frau, »aber vielleicht geht es besser weiter, als es angefangen hat. Du hast in dem Bürgermeister einen mächtigen Freund, den ich mir ungern zum Feind machen möchte.«
    Wenigstens ist sie ehrlich, dachte Susan, doch dann musste sie über sich selbst lachen. Diese Frau würde nur dann ehrlich sein, wenn es unumstößlich notwendig war; ihren eigenen Machenschaften und Begierden überlassen, würde sie einfach in jeder Hinsicht lügen – was das Wetter, das Getreide, den Flug der Vögel zur Erntezeit betraf.
    »Du bist früher gekommen, als ich dich erwartet hatte, und deshalb bin ich gereizt, das bin ich. Hast du mir etwas mitgebracht, Missy? Das hast du, garantiert!« Ihre Augen funkelten wieder, diesmal nicht vor Zorn.
    Susan griff unter ihre Schürze (es war so dumm, eine Schürze zu tragen, wenn man einen Ausflug an die Rückseite von Nirgendwo unternahm, aber so verlangte es der Brauch) und in ihre Tasche. Dort befand sich, mit einer Schnur festgebunden, damit er nicht verloren ging (wenn es jungen Mädchen zum Beispiel in den Sinn kam, im Mondschein zu rennen), ein Stoffbeutel. Susan zerriss die Schnur und holte den Beutel heraus. Sie legte ihn auf die ausgestreckte Hand vor ihr, deren Handfläche so verbraucht war, dass die Linien wenig mehr als Geister zu sein schienen. Sie achtete sorgsam darauf, Rhea nicht noch einmal zu berühren… obwohl die alte Frau sie wieder anfassen würde, und zwar schon bald.
    »Macht das Geräusch des Windes dich erschauern, Missy?«, fragte Rhea, obwohl Susan sehen konnte, dass das ganze Trachten der Frau dem kleinen Beutel galt; sie war mit den Fingern emsig beschäftigt, die Kordel aufzuknoten.
    »Aye, der Wind.«
    »So sollte es auch sein. Das sind die Stimmen der Toten, die du im Wind hörst, und wenn sie so schreien, dann liegt es daran, dass sie bedauern – ah!«
    Der Knoten ging auf. Rhea lockerte die Kordel und ließ zwei

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