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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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vielleicht ein Gewehr in einer Lederscheide getragen haben würde, ragte der federgeschmückte Schaft einer Lanze auf. Er gehörte nicht zum Alten Volk, so sah sein Gesicht nicht aus… aber sie glaubte auch nicht, dass er vom Äußeren Bogen stammte.
    »Aber wer bist du, Herzblatt!«, hauchte sie. »Und wie soll ich dich erkennen? Hast den Hut so weit runtergezogen, dass ich deine göttererbärmlichen Augen nicht sehen kann, das hast du! An deinem Pferd vielleicht… oder vielleicht an deinem… Geh weg, Musty! Warum behelligst du mich so? Arrr!«
    Die Katze war von ihrem Aussichtspunkt zurückgekehrt, wand sich zwischen den geschwollenen alten Knöcheln der Frau und maunzte mit einer Stimme zu ihr auf, die noch rostiger als ihr Schnurren klang. Als die alte Frau nach ihm trat, wich Musty behände aus… kam aber unverzüglich zurück, fing wieder an, sah mit Mondscheinaugen zu ihr auf und gab das leise Maunzen von sich.
    Rhea trat wieder nach ihr, diesmal so wirkungslos wie beim ersten Mal, dann sah sie wieder in die Glaskugel. Das Pferd und sein interessanter junger Reiter waren verschwunden. Ebenso das rosa Licht. Sie hielt nur noch eine tote Glaskugel in der Hand, deren einziges Licht in einer Spiegelung des Mondes bestand.
    Der Wind wehte böig und drückte ihr Kleid an die Ruine ihres Leibes. Musty ließ sich von den schwächlichen Tritten seiner Herrin nicht beeindrucken, kam wieder näher und strich ihr erneut um die Knöchel, wobei er die ganze Zeit über miaute.
    »Da siehst du, was du getan hast, du garstiger Floh- und Krankheitsträger! Das Licht ist erloschen, es ist gerade da erloschen, wo ich…«
    Dann hörte sie ein Geräusch von dem Feldweg her, der zu ihrer Hütte führte, und verstand, warum Musty sich so aufgeführt hatte. Sie hörte Gesang. Sie hörte das Mädchen. Das Mädchen kam zu früh.
    Sie verzog das Gesicht zu einer grässlichen Fratze – sie hasste es, überrascht zu werden, und das kleine Fräulein da unten würde dafür bezahlen –, bückte sich und legte die Glaskugel wieder in das Kästchen. Das Innere war mit Seide ausgeschlagen, und die Kugel passte so angegossen hinein wie das Frühstücksei in Seiner Lordschaft Eierbecher. Und von unten (der verfluchte Wind wehte aus der falschen Richtung, sonst hätte sie es früher gehört) kam weiterhin der Gesang des Mädchens, näher denn je:
     
    »Love, o love, o careless love,
    Can’t you see what careless love has done?«
     
    »Ich gebe dir unbedachte Liebe, du jungfräuliche Schlampe«, sagte die alte Frau. Sie konnte den sauren Geruch von Schweiß unter ihren Achseln riechen, aber die andere Feuchtigkeit war wieder getrocknet. »Ich werde dich dafür zahlen lassen, dass du zu früh bei der alten Rhea erscheinst, das werde ich!«
    Sie strich mit den Fingern über das Schloss an der Vorderseite des Kästchens, aber es ging nicht mehr zu. Sie vermutete, dass sie in ihrem Übereifer, es zu öffnen, etwas im Inneren zerbrochen hatte, als sie die Gabe anwandte. Das Auge und der Sinnspruch schienen sie zu verspotten: ICH SEHE, WER MICH öffnet. Es würde sich wieder richten lassen, und zwar im Nu, aber im Augenblick hatte sie nicht einmal einen Nu.
    »Aufdringliche Fotze!«, jammerte sie und hob den Kopf kurz in Richtung der Stimme, die immer näher kam (fast schon hier, bei den Göttern, und eine Dreiviertelstunde zu früh!). Dann klappte sie den Deckel des Kästchens zu. Ein Stich fuhr ihr dabei durchs Herz, weil die Glaskugel wieder zum Leben erwachte und sich mit dem rosigen Leuchten füllte, aber jetzt blieb keine Zeit, um zu schauen oder zu träumen. Später vielleicht, wenn das Objekt von Thorins unziemlich greisenhafter Geilheit wieder gegangen war.
    Und du musst dich zurückhalten und dem Mädchen nichts allzu Schreckliches antun, ermahnte sie sich. Vergiss nicht, sie ist seinetwegen hier und wenigstens keine dieser grünen Gören mit einem Braten in der Röhre und einem Freund, der nichts vom Ruf nach Eheschließung hören will. Es ist Thorins Tun, an diese da denkt er, wenn seine hässliche alte Vettel von einer Frau eingeschlafen ist und er sein Ding zum abendlichen Melken in die Hand nimmt; es ist Thorins Tun, und er hat das alte Gesetz auf seiner Seite, und er hat Macht. Außerdem ist das in dem Kästchen da Sache seines Mannes, und wenn Jonas herausfinden würde, dass du es dir angesehen… dass du es benutzt hast…
    Aye, aber das stand nicht zu befürchten. Und in der Zwischenzeit machte die Frage des Besitzes neun

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