Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
vom Haus weg.«
»Sie wird nicht wissen, wie weit du geritten bist?«
»Nay. Und neuerdings gehen wir uns sorgfältig aus dem Weg. Es ist, als hätte man zwei Pulverfässer im selben Haus.« Sie streckte die Hände aus. Die Handschuhe hatte sie in den Gürtel gesteckt, die Finger, die seine ergriffen, waren kalt. »Das alles wird kein gutes Ende nehmen«, sagte sie flüsternd.
»Sag das nicht, Susan.«
»Aye, ich sage es. Ich muss. Aber was immer kommen mag, ich liebe Ihn, Roland.«
Er nahm sie in die Arme und küsste sie. Als er ihre Lippen freigab, hielt sie sie an sein Ohr und flüsterte: »Wenn du mich liebst, dann liebe mich. Bring mich dazu, mein Versprechen zu brechen.«
Einen langen Augenblick, in dem ihr Herz nicht schlug, bekam sie keine Antwort von ihm und erlaubte sich zu hoffen. Dann schüttelte er den Kopf – nur einmal, aber mit Nachdruck. »Susan, ich kann nicht.«
»Ist demnach deine Ehre so viel größer als die Liebe, die du mir geschworen hast? Aye? Dann soll es so sein.« Sie entzog sich seiner Umarmung, fing an zu weinen und beachtete seine Hand an ihrem Stiefel nicht, als sie sich in den Sattel schwang – ebenso wenig seinen leisen Ruf, sie möge warten. Sie machte den Knoten auf, mit dem sie Pylon angebunden hatte, und dirigierte ihn mit einem sporenlosen Fuß herum. Roland rief immer noch nach ihr, diesmal lauter, aber sie trieb Pylon zum Galopp und entfernte sich von ihm, bevor ihr kurzer Wutausbruch vergehen konnte. Er wollte sie gebraucht nicht haben, und ihr Versprechen gegenüber Hart Thorin hatte sie gegeben, bevor sie gewusst hatte, dass Roland auf Erden wandelte. Da das so war, wie konnte er darauf beharren, dass der Verlust der Ehre und die daraus resultierende Schande nur sie betraf? Später, als sie schlaflos im Bett lag, wurde ihr klar, dass er auf gar nichts beharrt hatte. Und sie hatte den Orangenhain noch nicht einmal hinter sich gelassen, als sie die linke Hand zum Gesicht hob, die Nässe dort spürte und merkte, dass auch er geweint hatte.
18
Roland ritt bis nach Monduntergang auf den Straßen vor der Stadt umher und versuchte, seine aufgewühlten Gefühle irgendwie in den Griff zu bekommen. Er fragte sich eine Zeit lang, was er wegen ihrer Entdeckung auf dem Citgo-Gelände unternehmen sollte, doch dann schweiften seine Gedanken wieder zu Susan ab. War er ein Narr, dass er sie nicht genommen hatte, als sie genommen werden wollte? Dass er nicht geteilt hatte, was sie mit ihm teilen wollte? Wenn du mich liebst, dann liebe mich. Diese Worte hatten ihn beinahe zerrissen. Doch in den tiefen Kammern seines Herzens – Kammern, wo die deutlichste Stimme die seines Vaters war – spürte er, dass er nicht falsch gehandelt hatte. Und es war auch nicht nur eine Frage der Ehre, was immer sie denken mochte. Aber sollte sie es doch ruhig denken, wenn sie das wollte; es war besser, sie hasste ihn ein klein wenig, als dass ihr klar wurde, in welch großer Gefahr sie beide schwebten.
Gegen drei Uhr, als er endlich zur Bar K reiten wollte, hörte er einen raschen, von Westen kommenden Hufschlag auf der Hauptstraße. Ohne zu überlegen, warum es so wichtig war, es zu tun, schwenkte Roland in diese Richtung zurück und brachte Rusher hinter einer hohen Reihe wild wuchernder Hecken zum Stehen. Der Hufschlag wurde fast zehn Minuten lang stetig lauter – in der Totenstille der frühen Morgenstunden konnte man Geräusche weit hören –, und das war genug Zeit für Roland, sich zu überlegen, wer da zwei Stunden vor Morgengrauen nach Hambry ritt, als wäre der Teufel hinter ihm her. Und er irrte sich nicht. Der Mond war untergegangen, aber selbst durch die mit Dornengebüsch überwucherten Lücken in der Hecke hatte er keine Mühe, Roy Depape zu erkennen. Am Morgen würden die Großen Sargjäger wieder zu dritt sein.
Roland dirigierte Rusher wieder in seine ursprüngliche Richtung und ritt los, um sich wieder mit seinen Freunden zu treffen.
Kapitel 10
V OGEL UND B ÄR UND F ISCH UND H ASE
1
Der wichtigste Tag in Susan Delgados Leben – der Tag, an dem ihr Leben herumwirbelte wie ein Mühlstein auf seiner Achse – kam etwa zwei Wochen nach ihrem Mondscheinspaziergang mit Roland über das Ölfeld. Seither hatte sie ihn nur ein halbes Dutzend Mal gesehen, stets aus der Ferne, und sie hatten die Hände zum Gruß erhoben, wie flüchtige Bekannte es zu tun pflegten, wenn ihre Angelegenheiten sie kurz in Sichtweite des anderen führten. Jedes Mal, wenn das geschah,
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