Der Durst der Toten
die davon eilende Ambulanz angehängt.
Während der ersten Minuten der Fahrt glaubte auch sie noch felsenfest, das Memorial sei das Ziel. Aber sie irrte sich .
*
»Hierher. Legt sie hier ab - vorsichtig.«
Darren dirigierte den Notarzt und den muskulösen Rettungssanitäter zu dem Bett, in dem sonst er schlief. Meist allein, hin und wieder auch mit einer flüchtigen Bekanntschaft. Zu etwas »Festem« hatte es noch nicht gereicht. Er war auch nicht auf der Suche.
Darren wartete, bis die Männer wieder gegangen waren. Als er wenig später durch das Fenster schaute, sah er den Rettungswagen abfahren. Erst allmählich kam ihm das untypische Verhalten der Wagenbesatzung zu Bewußtsein. Normalerweise hätte ein Arzt ihm niemals die Verantwortung für die Frau übertragen.
Er wußte nicht, wie lange er einfach nur dagestanden hatte, bis eine wohltönende Stimme sagte: »Gut gemacht.«
Seine Finger krampften sich um die leicht vorstehende Fensterbank. Er hatte das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen. Benommen kämpfte er gegen den Strudel an, der an seinem Bewußtsein zerrte, und immer noch wackelig auf den Beinen drehte er sich um.
Er wußte kaum, wie er in seine Wohnung gelangt war. Seine Erinnerung wies Lücken auf, seit er im Kellergewölbe des gespenstischen Hauses auf sie getroffen war.
Sie, die jetzt wie hingegossen auf seinem Bett lag, gekleidet in ein hautenges Teil, das der bizarren Phantasie eines Modeschöpfers entsprungen sein mußte! Das Kleid, das sie eben noch getragen hatte, war verschwunden und hatte einem wie organisch wirkenden Cat-suit Platz gemacht, das an etlichen Stellen wie zerrissen aussah.
So schwarz wie das Kleidungsstück waren auch ihre Haare - ein schwärzeres Schwarz, als Darren es je bei einer Frau gesehen hatte -und ihr Gesicht vereinte in sich Anmut und Strenge. Jadegrüne Augen betrachteten ihn ohne den geringsten Argwohn.
»Wer sind Sie?« fragte Darren Secada.
Kehliges Lachen antwortete seiner unbeholfenen Frage. Hoch angesetzte Wangenknochen deuteten auf slawische Einflüsse hin - osteuropäische, wie Darren mutmaßte.
»Ich bin Lilith. Lilith Eden. Und wie ist dein Vorname? Den Nachnamen habe ich schon gehört.«
»Darren.«
»Schön, Darren. War es Zufall, daß ausgerechnet du mich fandest?«
Das Schwindelgefühl verstärkte sich wieder. »In der - Padding-ton?« vergewisserte er sich.
»Wo sonst?«
Also doch. Ich war also wirklich dort .
Er hatte fast schon in Erwägung gezogen, alles nur geträumt zu haben. Aber vielleicht träumte er ja noch immer .?
Er räusperte sich. Wußte nicht, was er antworten sollte.
In diesem Augenblick machte sich jemand an der Wohnungstür bemerkbar. Der Türsummer blieb stumm, dafür erklang ein kurzes, energisches Klopfen.
»Erwartest du jemanden?«
Darrens Blick schwenkte zur Uhr neben dem Bett. Sie zeigte 2:45 Uhr an. »Um diese Zeit? Eigentlich nicht ...«
»Dann kann es nur bedeuten, daß sie uns auf die Schliche gekommen sind. Vielleicht ist uns ein Polizeiwagen gefolgt ...« Lilith trat neben Secada, senkte ihren Blick tief in die Augen des Mannes und gab ihm klare Instruktionen, wie er sich zu verhalten hatte.
Während er das Zimmer verließ und zur Wohnungstür ging, öffnete sie das Fenster. Niemand sollte die Frau aus der Paddington Street in diesem Apartment finden.
Lilith streckte den Kopf ins Freie.
Der volle Mond stand hoch am Himmel, die Luft war mild. Es war eine wunderbare Nacht zum Fliegen .
*
Darren hatte das Gefühl, über schwankende Schiffsplanken zu laufen. Unmittelbar vor der Wohnungstür blieb er stehen. Wieder ein hartes, ungeduldiges Klopfen, diesmal anhaltender.
»Wer ist da?«
Noch während er einen Blick durch das Nadelöhr des Spionauges warf, erklang eine Stimme: »Machen Sie auf, Mister Secada, hier ist die Polizei! Sergeant Lafferty. Chief Inspector Holloway schickt mich!«
Darren löste die Türverriegelung und öffnete. Ein spindeldürrer Polizist in Uniform blickte ihm streng entgegen.
»Worum geht es?«
»Darf ich eintreten?«
Darren blockierte die Tür weiterhin mit seinem Körper. »Können wir die Sache nicht hier draußen besprechen?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht .« Der Sergeant zuckte die Schultern.
»Worum geht es also? Was will Holloway? Braucht er Unterstützung?«
»Ein paar Antworten würden ihm wahrscheinlich schon genügen.«
»Fragen Sie. Was liegt Ihnen auf dem Herzen?«
»Sie wollten eine Verletzte aus der Paddington Street ins Memorial Hospital
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