Der Ego-Tunnel
befürwortete Ansatz im Dienste der emergentistischen Hypothese 17 bedeutender Naturwissenschaftler wie Roger Sperry und bedeutender Philosophen wie William James. Denker von diesem Format sind dünn gesät.
Verbreiteter – und besser bezahlt – sind jene Wissenschaftler, die intensiv nach molekularen Mechanismen in und zwischen Nervenzellen suchen. Solche Entdeckungen sind wirklich wunderbar, aber sie werden nie zum Verständnis bewussten Erlebens führen. Es ist interessant, dass selbst so bekannte Kollegen wie Sigmund Freud sich an diesem verhängnisvollen reduktionistischen Paradigma orientiert haben. Ich verwende hier den Ausdruck »reduktionistisch« im populären Sinne des eliminativen Materialismus. 18
Metzinger : Weshalb interessieren Sie sich für Philosophie? Welche Beiträge erhoffen Sie sich von den Geisteswissenschaften?
Hobson : Ich interessiere mich für Philosophie, weil sie – zusammen mit der Psychologie und der Physiologie – meines Erachtens eine Grundlagenwissenschaft der kognitiven Neurowissenschaft ist, soweit sich diese mit der Frage befasst, wie man Bewusstsein erforschen kann. Ich selbst versuche Philosophie zu »betreiben«, aber ich brauche Hilfe. Aus diesem Grund wende ich mich an Leute wie Sie, Owen Flanagan oder auch David Chalmers. Im Allgemeinen erhalte ich positive Reaktionen von Philosophen. Sie interessieren sich ernsthaft für meine Arbeit, und sie teilen ihre Einsichten großzügig mit mir. Sie sind keine Ausnahme.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage betrifft, so will ich unter Philosophenund anderen Geisteswissenschaftlern die Erkenntnis fördern, dass die wissenschaftliche Erforschung von Gehirn/Geistes-Zuständen eine der größten Herausforderungen und Chancen für ein besseres Verständnis von uns selbst ist, die sich in unserer langen Geistesgeschichte je geboten hat. Bei diesem Projekt, das so einfach und breit gefächert wie ehrgeizig ist, ist Platz für viele Disziplinen. Ich selbst habe mir zum Ziel gesetzt, mit mehr Mitarbeitern die Sache schneller voranzutreiben. Wir brauchen alle Hilfe, die wir bekommen können. Ich bin sogar überzeugt davon, dass die Forschung an der Schnittstelle zwischen Gehirn und Geist eine Geisteswissenschaft ist.
Metzinger : Hat die Psychoanalyse denn heute überhaupt noch einen Sinn, oder ist sie einfach nur jede Menge heißer Luft? Was halten Sie von Solms’ Argumenten?
Hobson : Sigmund Freud lag zu fünfzig Prozent richtig und zu hundert Prozent falsch! Und das Gleiche gilt für Mark Solms, wenn auch aus anderen Gründen. Freud interessierte sich zu Recht für Träume und dafür, was Träume uns über die menschliche Psyche sagen könnten, insbesondere über ihre emotionalen Aspekte. Seine Traumtheorie ist mittlerweile veraltet, aber ihre Irrtümer werden noch immer von Psychoanalytikern wie Mark Solms propagiert.
Hier ist eine Vergleichsliste der Freud’schen Hypothesen und der entsprechenden Alternativen, die die moderne Neurobiologie anbietet:
(1) Auslösung von Träumen.
Freud: Freisetzung unbewusster Wünsche.
Neurobiologie: Hirnaktivierung im Schlaf.
(2) Merkmale von Träumen.
(a) Bizarrheit.
Freud: Verschleierung und Zensur unbewusster Wünsche.
Neurobiologie: chaotische Bottom-up-Aktivierungsprozesse.
(b) Starke Emotion.
Freud: Das kann er nicht erklären!
Neurobiologie: selektive Aktivierung des limbischen Lappens.
(c) Keine Erinnerung.
Freud: Verdrängung
Neurobiologie: aminerge Demodulation.
(d) Halluzinationen.
Freud: Regression zum System Wahrnehmung.
Neurobiologie: Aktivierung von REMs und PGO-Wellen.
(e) Wahnvorstellungen, Verlust des selbstreflexiven Bewusstseins
Freud: Auflösung des Ich.
Neurobiologie: selektive Deaktivierung des DLPFC.
(3) Traumfunktion.
Freud: Hüter des Schlafs.
Neurobiologie: Epiphänomen, aber REM-Schlaf lebenswichtig, weil er die Wärmeregulierung und Immunfunktionen verbessert.
Wie wir in Amerika zu sagen pflegen: »Die richtige Antwort muss jeder für sich selbst herausfinden!« Ich habe mich für die Neurobiologie entschieden. Wie steht es mit Ihnen? Was Solms betrifft, so ist er lediglich ein sehr gescheiter Psychoanalytiker, der Freud vor dem Mülleimer bewahren will. Seine Argumente, die auf seinen wichtigen neuropsychologischen Arbeiten basieren, sind schwach. Er hat Verschleierung/Zensur aufgegeben, will aber die Wunscherfüllung neu beleben. Zwar trifft es zu, dass Träume oftmals unsere Wünsche darstellen, aber diese sind nur selten
Weitere Kostenlose Bücher