Der Ego-Tunnel
Anpassungsvorteil sein, sich nicht an den Trauminhalt zu erinnern. Selbst wenn man die Behauptungeiniger Therapeuten in Betracht zieht, Träume seien der Königsweg zum Unbewussten, kann man die Frage stellen: »Wer will überhaupt dahin?« Es steht selbstverständlich jedem frei, diesen Weg zu beschreiten, aber ich selbst erkenne keinen Anpassungsvorteil in der Erinnerung und Deutung von Träumen, obwohl ich selbst mit großem Vergnügen diesem Zeitvertreib fröne.
Meine eigene spezielle Theorie besagt, dass Träumen eine hochspezifische Form bewussten Erlebens ist, mit deren Hilfe man die Hirnaktivität, die zu Bewusstsein führt, besser verstehen kann, gleichgültig, ob im Wachzustand oder im Schlaf. Gerald Edelman und Giulio Tononi haben gezeigt, dass das gesamte riesengroße thalamokortikale System aktiviert werden muss, um Bewusstsein hervorzubringen. Im Wachzustand und im Schlaf wird dieses System durch den Hirnstamm aktiviert, aber die chemische Modulierung, die mit der Aktivierung einhergeht, ist in den beiden Zuständen sehr unterschiedlich. Die Beiträge anderer Strukturen wie des limbischen Systems und der modulatorischen Systeme des Hirnstamms sind sehr bedeutsam, da sie das Bewusstsein »einfärben«, aber auch aktivieren.
Der Mensch und die meisten anderen Säugetiere besitzen Gehirne, die sich im Schlaf selbst aktivieren können, wenn Umweltbedingungen wie Kälte und Dunkelheit das Wachverhalten nicht begünstigen, und genau diese Fähigkeit, nicht deren bewusstes Gewahrsein, ist für den evolutionären Erfolg von Bedeutung.
Metzinger : Was wissen wir heute über die stammesgeschichtliche Einordnung und Bedeutung des Schlaf-Wach-Zyklus? Wie entstand er bei unseren Vorfahren? Und in welcher Beziehung steht diese Entwicklung zum Bewusstsein?
Hobson : Die Antwort lautet, dass wir eine Menge wissen! Ohne auf die komplizierten Einzelheiten einzugehen, kann man mit Sicherheit sagen, dass der voll entwickelte Schlaf-Wach-Zyklus mit abwechselnden Nicht-REM- und REM-Schlafphasen eine Anpassung ist, die gleichwarmen Tieren vorbehalten ist – nämlich Säugetieren und Vögeln, die ihre Körpertemperatur selbst regulierenkönnen. Welche adaptive Verbindung besteht zwischen Homöothermie und Schlaf? Wieder ist die Antwort einfach. Wenn die Gehirntemperatur trotz sehr großer Schwankungen der Umwelttemperatur konstant gehalten werden kann, dann stellt dies unter unterschiedlichsten Umweltbedingungen eine zuverlässige Hirnfunktion sicher. Anders gesagt, Temperaturregulation und Hirnfunktion sind eng miteinander verknüpft, und der Schlaf stellt diese Verknüpfung sicher.
Was das Bewusstsein betrifft, folge ich Edelman, der primäres Bewusstsein – das heißt Wahrnehmung, Emotion und Gedächtnis – und sekundäres Bewusstsein unterscheidet, also das Bewusstsein von Bewusstsein und die Fähigkeit, dieses zu beschreiben. Sekundäres Bewusstsein, das auf Sprache und anderen komplexen Abstraktionen beruht, findet sich ausschließlich beim Menschen. Primäres Bewusstsein ist unter Säugetieren weit verbreitet und könnte sogar bei einigen Spezies vorhanden sein, die unter den Säugetieren stehen. Leider können diese Behauptungen nie mehr als intelligente Vermutungen sein, weil kein subhumanes Tier sein subjektives Erleben sprachlich mitteilen kann. Tierrechtsaktivisten und Lebensrechtsagitatoren haben durchaus recht, wenn sie behaupten, dass viele subhumane und auch geschlechtsunreife junge Tiere in einem begrenzten, aber signifikanten Umfang Bewusstsein besitzen. Wenn wir ihnen das Leben nehmen oder ihnen Leid zufügen, sollten wir einen guten moralischen Grund dafür haben. Aber den haben wir. Es ist die Minderung menschlichen Leidens. Ich glaube fest an die Überlegenheit des Menschen. So wie ich tierisches und pflanzliches Leben nehme, um zu überleben, so nehme ich es auch, um die Lebensqualität von Menschen zu fördern.
Metzinger : Könnten wir eine Maschine bauen, die träumt, aber nie wach ist? Gibt es Tiere, die träumen, aber kein Wachbewusstsein haben?
Hobson : Auch hier lässt sich der zweite Teil der Frage leichter beantworten. Angesichts der von mir betonten Begrenzungen der wissenschaftlichen Erkenntnis lautet die Antwort: Nein. Wenn einTier sein Gehirn im Schlaf aktivieren kann, hat es diese Fähigkeit auch im Wachzustand. Also könnte man schlussfolgern – aber eben »nur« schlussfolgern –, dass Tiere, die (notwendigerweise begrenztes) Traumbewusstsein haben, auch im Wachzustand
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