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Der Ego-Tunnel

Der Ego-Tunnel

Titel: Der Ego-Tunnel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Metzinger
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bewusst vermeiden, weil er systematisch Missverständnisse hervorruft, hauptsächlich wegen seiner unterschiedlichen Konnotationen in verschiedenen Kontexten. Die »geteilte Mannigfaltigkeit« lässt sich auf drei verschiedenen Ebenen beschreiben: einer phänomenologischen Ebene, einer funktionalen Ebene und einer subpersonalen Ebene.
    Die phänomenologische Ebene ist verantwortlich für das Gefühl der Ähnlichkeit – der Zugehörigkeit zu einer größeren sozialen Gemeinschaft von Personen wie wir –, das wir jedes Mal erleben, wenn wir anderen Menschen begegnen. Angesichts des intentionalen, auf Zwecke und Ziele gerichteten Verhaltens anderer erleben wir einen spezifischen phänomenalen Zustand der wechselseitigen intentionalen Feinabstimmung. Dieser phänomenale Zustand erzeugt die eigentümliche Qualität der Vertrautheit mit anderen Individuen, die dadurch entsteht, dass die Intentionen der anderen mit denen des Beobachters »zusammenfallen«. Dies scheint ein wichtiges Element der Empathie zu sein.
    Die funktionale Ebene lässt sich mit verkörperten Simulationen der Handlungen beschreiben, die wir sehen, oder der Emotionen und Empfindungen, deren Ausdruck wir bei anderen beobachten. Ich werde das gleich noch näher erläutern.
    Die subpersonale Ebene besteht aus der Aktivität einer Reihe spiegelneuronaler Schaltkreise. Die Aktivität dieser spiegelneuronalen Schaltkreise ist nun wiederum eng an mehrstufige Veränderungen in Körperzuständen gekoppelt. Wir haben gesehen, dass Spiegelneuronen einen gemeinsamen multimodalen Raum für Handlungen und Handlungsabsichten entstehen lassen. Neuere Befunde zeigen, dass analoge neuronale Netzwerke multimodale emotionale und sehr sensible »wir-zentrische« Räume erzeugen. Um es einfacher auszudrücken: Jedes Mal, wenn wir uns in Beziehung zu einem anderen Menschen setzen, treten wir automatisch in einen wir-zentrischen Raum ein, in dem wir auf eine Reihe impliziter, aber fester Überzeugungen über den anderen zurückgreifen. Dieses implizite Wissen befähigt uns, auf unmittelbare Weise zu verstehen, was die andere Person tut, weshalb er oder sie dies tut und wie er oder sie eine spezifische Situation empfindet.
    Metzinger : Sie sprechen auch von »verkörperter Simulation«. Was genau bedeutet dies? Gibt es auch so etwas wie »entkörperlichte Simulation«?
    Gallese : Der Begriff der Simulation wird in vielen verschiedenen Zusammenhängen verwendet, oftmals mit unterschiedlichen, sich nicht unbedingt überschneidenden Bedeutungen. Simulation ist ein funktionaler Prozess, der einen gewissen repräsentationalen Inhalt hat und sich typischerweise auf mögliche Zustände seines Zielobjekts konzentriert. In der Philosophie des Geistes wurde der Begriff der Simulation von den Befürwortern der »Simulationstheorie des Gedankenlesens« verwendet, um jenen Als-ob-Zustand zu bezeichnen, den der Zuschreibende einnimmt, um das Verhalten einer anderen Person zu verstehen. Im Grunde bedeutet es nichts anderes, als dass wir uns mit Hilfe unseres eigenen Geistes in das Innere anderer Menschen hineinversetzen.
    Ich nenne die Simulation »verkörpert«, um sie als einen zwingendund automatisch ablaufenden, nichtbewussten, vorrationalen und nichtintrospektiven Vorgang zu charakterisieren. Eine unmittelbare Form erlebnismäßigen Verstehens von anderen, die wechselseitige intentionale Abstimmung, wird durch die Aktivierung gemeinsamer neuronaler Systeme erreicht, die sowohl unseren eigenen Handlungen und Empfindungen als auch den Handlungen und Empfindungen anderer zugrunde liegen. Dieser Modellierungsmechanismus ist einfach das, was ich mit »verkörperter Simulation« meine. Parallel zu der distanzierten sensorischen Beschreibung der beobachteten sozialen Stimuli werden im Beobachter innere Repräsentationen der Körperzustände hervorgerufen, die mit Handlungen, Emotionen und Empfindungen so verknüpft sind, als ob er oder sie eine ähnliche Handlung ausführte oder eine ähnliche Emotion oder Empfindung erlebte. Spiegelneuronensysteme sind vermutlich das neuronale Korrelat dieses Mechanismus. Durch einen gemeinsamen neuronalen Zustand, der in zwei verschiedenen Körpern realisiert wird, wird der »vergegenständlichte Andere« zu einem zweiten Selbst. Eine mangelhafte intentionale Abstimmung, die durch eine fehlende verkörperte Simulation verursacht wird, könnte einige der sozialen Beeinträchtigungen von Autisten erklären.
    Im Gegensatz zu dem, was viele Kognitionsforscher

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