Der Ego-Tunnel
Preisverleihung für gute schauspielerische Leistungen (wie Woody Allen einmal gesagt hat), und letztlich ist jeder von uns allein. Ich habe die Botschaft verstanden, und Sie können sich darauf verlassen, dass ich mein eigenes Verhalten daran anpassen werde. Wahrscheinlich wäre es am schlauesten, wenn ich niemandem zeige, dass ich das Spiel längst durchschaut habe. Die effektivste Strategie wird darin bestehen, so zu tun, als sei ich ein konservativer, ein altmodischer Mensch, der noch an moralische Werte und das metaphysische Menschenbild glaubt.« Und so weiter.
Was wir erleben, ist eine naturalistische Wende im Menschenbild, und es sieht so aus, als ob es keinen Weg zurück gibt. Die dritte Phase der Bewusstseinsrevolution wird unser Bild von uns selbst dramatischer verändern als jede andere naturwissenschaftliche Revolution in der Vergangenheit. Wir werden viel gewinnen, aber wir werden auch einen Preis dafür zahlen. Deshalb sollten wir auf nüchterne und intelligente Weise versuchen, die psychosozialen Folgekosten der Entwicklung abzuschätzen.
Die gegenwärtig rasante Zunahme des Wissens in den empirischen Geisteswissenschaften ist ein Vorgang, der vollständig unkontrolliert abläuft, der eine vielschichtige Eigendynamik besitzt und der sich weiter beschleunigt. Er findet zudem in einem ethischen Vakuum statt, wird ausschließlich durch die Karriereinteressen Einzelnerangetrieben und kaum durch gesellschaftliche oder politische Überlegungen beeinflusst. In den reicheren Ländern öffnet sich eine Schere zwischen den akademisch gebildeten und wissenschaftlich gut informierten Teilen der Bevölkerung, die dem naturwissenschaftlichen Weltbild offen gegenüberstehen, und jenen, die von Begriffen wie »neuronales Korrelat des Bewusstseins« oder »phänomenales Selbstmodell« noch nie etwas gehört haben. Viele Menschen klammern sich an metaphysische Glaubenssysteme und haben Angst, ihre innere Lebenswelt könnte durch die neuen Naturwissenschaften vom menschlichen Geist kolonisiert werden. Auch auf der globalen Ebene öffnet sich die entsprechende Kluft zwischen den entwickelten Ländern und den Schwellenländern immer weiter: Mehr als 80 Prozent der Menschen auf unserem Planeten, besonders diejenigen in den ärmeren Ländern mit stark wachsender Bevölkerung, sind noch fest in vorwissenschaftlichen Kulturen und Weltbildern verwurzelt. Viele von ihnen werden nicht einmal vom neuronalen Korrelat des Bewusstseins oder dem phänomenalen Selbstmodell hören wollen . Ganz besonders für sie wird der Übergang viel zu schnell kommen – und er wird darüber hinaus genau aus den Ländern kommen, die sie in der Vergangenheit systematisch unterdrückt und ausgebeutet haben.
Diese sich öffnende Kluft könnte durchaus bereits bestehende Konflikte verschärfen. Darum haben die führenden Forscher in den frühen Phasen der Bewusstseinsrevolution auch eine Verantwortung, uns durch diese dritte Phase zu führen. Naturwissenschaftler und akademische Philosophen können sich nicht einfach darauf beschränken, Forschungsbeiträge für eine umfassende Theorie des Bewusstseins und des Selbst zu liefern. Wenn es überhaupt so etwas wie moralische Verpflichtungen gibt, dann müssen sie sich auch mit der anthropologischen und normativen Leere auseinandersetzen, die sie durch ihre Arbeit erzeugen. Sie müssen ihre Ergebnisse interessierten Laien in verständlicher Sprache mitteilen und die neuesten Entwicklungen allen Mitgliedern der Gesellschaft verständlich machen, mit deren Steuergeld ihr Gehalt bezahlt wird. Dies war auch einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe: Wir könnennicht einfach allen Ehrgeiz und alle Intelligenz nur auf unsere wissenschaftliche Karriere konzentrieren und nebenbei alles zerstören, woran die Menschheit während der letzten 25 Jahrhunderte und darüber hinaus geglaubt hat.
Nehmen wir einmal an, dass die naturalistische Wende im Menschenbild unwiderruflich ist und dass sich eine starke Version des Materialismus entwickeln wird. In diesem Fall können wir uns selbst nicht mehr als unsterbliche Wesen mit einem außerweltlichen Ursprung betrachten, die in einer tiefen Beziehung zu einem persönlichen Gott stehen. Gleichzeitig aber – und dieser Punkt wird häufig übersehen – hätte sich unser Bild des physikalischen Universums selbst radikal verändert. Wir müssen jetzt davon ausgehen, dass das Universum ein intrinsisches Potenzial für Subjektivität besitzt. Wir werden ganz
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