Der Ego-Tunnel
Physik plus Biologie – mehr als der Tanz eines fantastisch komplexen, rhythmischen Musters neuronaler Entladungen in unserem Gehirn. Das menschliche Bewusstsein unterscheidet sich von anderen biologisch evolvierten Phänomenen grundlegend dadurch, dass es eine Wirklichkeit dazu bringt, in sich selbst zu erscheinen. Es erzeugt Innerlichkeit: Der Vorgang des Lebens ist sich seiner selbst bewusst geworden.
Nach den verfügbaren Daten über Gehirne von Tieren und evolutionäre Kontinuität zu urteilen, ist das Erscheinen von Welten in biologischen Nervensystemen ein neueres Phänomen, vielleicht nur ein paar Millionen Jahre alt. In der Darwin’schen Evolution könnte eine Frühform des Bewusstseins vielleicht vor etwa 200 Millionen Jahren in den primitiven Großhirnrinden von Säugetieren entstanden sein. Es verlieh ihnen eine Körperwahrnehmung, ein Gefühl für ihre Umwelt und steuerte Teile ihres Verhaltens. Meine eigene, rein intuitive Vermutung ist, dass auch Vögel, Reptilien und Fische schonseit langer Zeit eine einfache Art von Bewusstheit besitzen. Jedenfalls kann ein Tier, das nicht logisch denken und auch keine Sprache sprechen kann, zweifellos transparente phänomenale Zustände haben – und mehr bedarf es nicht, um eine Welt im Bewusstsein erscheinen zu lassen. Bekannte Bewusstseinsforscher und theoretische Neurobiologen wie Bernard Baars, Anil Seth und David Edelman haben siebzehn Kriterien für Hirnstrukturen aufgestellt, die sehr wahrscheinlich dem Bewusstsein dienlich sind, und nicht nur bei Säugetieren, sondern auch bei Vögeln und möglicherweise sogar bei Tintenfischen sind die Belege für die Existenz solcher Strukturen oder sehr ähnlicher Funktionen überwältigend. Die empirische Evidenz für die Existenz von Bewusstsein bei Tieren ist mittlerweile weit jenseits jedes vernünftigen Zweifels. 1 Genau wie wir sind auch Tiere »naive Realisten«, und wenn sie etwa Farbempfindungen haben, dann kann man plausiblerweise davon ausgehen, dass diese ihnen mit der gleichen Qualität der Direktheit, Gewissheit und Unmittelbarkeit erscheinen wie uns selbst. Der philosophische Punkt ist dagegen, dass wir all das in Wirklichkeit natürlich nicht wissen. Denn hierbei handelt es sich genau um die Art von Fragen, die wir erst genauer untersuchen können, wenn wir eine befriedigende Theorie des Bewusstseins aufgestellt haben.
Ein wesentlich jüngeres Phänomen trat vor wenigen tausend Jahren in Erscheinung: die bewusste Bildung von Theorien im Geist von menschlichen Philosophen und Wissenschaftlern. Jetzt spiegelte sich der Lebensprozess nicht nur in individuellen bewussten Organismen wider, sondern auch in Gruppen von menschlichen Wesen, die das Auftreten des selbstbewussten Geistes als solchem zu verstehen versuchten – also was genau es bedeutet, dass etwas »in sich selbst erscheint«. Vielleicht ist das faszinierendste Merkmal des menschlichen Geistes nicht so sehr, dass er manchmal bewusst sein kann oder sogar dass er die Entstehung eines phänomenalen Selbstmodells, eines PSM, ermöglicht. Wirklich bemerkenswert ist eher die Tatsache, dass wir die innere Aufmerksamkeit auch auf die Inhalte unseres PSM lenken und dann sogar Begriffe über sie bilden können. Wir können miteinander über seinen Inhalt kommunizieren, undwir können diesen Vorgang wiederum als unsere eigene Aktivität erleben. Der Prozess, bei dem wir unser inneres Erleben bündeln und es selbst noch einmal auf unsere Gedanken und Emotionen richten, auf unsere eigenen Wahrnehmungen und körperlichen Empfindungen, wird nämlich seinerseits wieder in das bereits bestehende Selbstmodell eingebunden. Und diese Eigenschaft unterscheidet uns, wie bereits bemerkt, wahrscheinlich von den meisten anderen Tieren auf diesem Planeten: die Fähigkeit, die Erste-Person-Perspektive aktiv nach innen zu wenden, unsere Gefühlszustände zu erforschen und die Aufmerksamkeit auf unsere Denkvorgänge zu lenken. Philosophen sprechen in diesem Zusammenhang von »höherstufigen« Ebenen des PSM. Diese erlaubten uns, uns der Tatsache bewusst zu werden, dass wir Repräsentationssysteme sind.
Im Verlauf der Jahrhunderte haben die Theorien, welche wir entwickelt haben, schrittweise unser eigenes Bild von uns selbst verändert, und indem sie das taten, haben sie auf subtile Weise auch den Inhalt des Bewusstseins selbst verändert. Es ist richtig, dass Bewusstsein ein robustes Phänomen ist, das sich nicht einfach dadurch verändert, dass wir auf einmal andere
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