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Der Ego-Tunnel

Der Ego-Tunnel

Titel: Der Ego-Tunnel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Metzinger
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Entdeckung solcher neuronalen Korrelate in Richtung auf eine Erklärung von Bewusstsein tragen könnte. Korrelation ist jedenfalls nicht gleichzusetzen mit Verursachung. Wenn zum Beispiel fast alle Uhren in einer Zeitzone dieselbe Zeigerstellung aufweisen, dann bedeutet das noch lange nicht, dass zwischen ihnen auch Ursache-Wirkungs-Beziehungen bestehen. Vor allem ist auch eine noch so enge Korrelation keine wissenschaftliche Erklärung – wenn die beobachtbaren Mondphasen eng mit den Gezeiten korreliert sind, dann heißt das noch lange nicht, dass man Ebbe und Flut auch durch die Mondphasen erklären kann. Und wenn bestimmte Aspekte des Bewusstseins unaussprechlich sind, dann können wir sie ganz offensichtlich nicht direkt mit Zuständen in unseren Gehirnen in Beziehung setzen. Wir haben gegenwärtig kein gutes Verständnis dessen, was genau es bedeutet, zu sagen, dass Bewusstsein »subjektiv« ist, ein »privates« Phänomen, das an ein individuelles Selbst gebunden ist. Aber wenn wir die neuronalen Korrelate für spezifische Bewusstseinsinhalte schrittweise fixieren, dann wird das die Grundlagen für die Neurotechnologie der Zukunft legen. Sobald wir die hinreichenden physikalischen Korrelate für Bewusstseinsqualitäten wie »Rosa-Aprikosenfarben«und »Sandelholz-Ambra« kennen, werden wir im Prinzip in der Lage sein, diese Zustände zu aktivieren, indem wir das Gehirn in einer angemessenen Weise stimulieren. Wir werden in der Lage sein, unsere bewussten Empfindungen von Farbe oder Geruch zu modulieren, sie zu intensivieren oder zu löschen, indem wir die relevanten Gruppen von Neuronen reizen oder hemmen. Das könnte dann auch für emotionale Zustände gelten, wie etwa Einfühlung, Dankbarkeit oder religiöse Ekstase.
    Zunächst benötigen wir jedoch eine solide Grundlage. Bevor wir verstehen können, was das ist, was wir in der Vergangenheit das »Selbst« genannt haben, müssen wir uns zuerst einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Bewusstseinsforschung verschaffen, indem wir einen kurzen Ausflug in die Landschaft des Bewusstseins unternehmen, eine einzigartige und faszinierende Landschaft aus theoretischen Problemen und philosophischen Rätseln. Es hat natürlich bereits beträchtliche Fortschritte gegeben, aber was unseren bewussten Geist angeht, leben wir gleichsam immer noch in prähistorischen Zeiten. Unsere Theorien über das Bewusstsein sind so naiv wie die ersten Vorstellungen, die sich die Höhlenmenschen über das wirkliche Wesen der Sterne gemacht haben dürften. Aus der Perspektive der aktuellen Forschung stehen wir erst am Anfang einer echten Wissenschaft des Bewusstseins.
    Das bewusste Gehirn ist eine biologische Maschine – ein Wirklichkeitsgenerator, der vorgibt, uns zu sagen, was existiert und was nicht existiert. Es ist anfänglich vielleicht beunruhigend, zu entdecken und erstmals wirklich zu verstehen, dass es vor unseren Augen keine Farben gibt. Das zarte aprikosenfarbene Rosa der untergehenden Sonne ist keine Eigenschaft des Abendhimmels; es ist eine Eigenschaft des inneren Modells des Abendhimmels, eines Modells, das durch unser Gehirn erzeugt wird. Der Abendhimmel ist farblos. In der Außenwelt gibt es überhaupt keine farbigen Gegenstände. Es ist alles genau so, wie es uns schon der Physiklehrer in der Schule gesagt hat: Da draußen, vor Ihren Augen, gibt es nur einen Ozean aus elektromagnetischer Strahlung, eine wild wogende Mischung verschiedener Wellenlängen. Die meisten davon sind für Sie unsichtbar und könnenniemals ein Teil Ihres bewussten Realitätsmodells werden. Was in Wirklichkeit geschieht, ist, dass das visuelle System in Ihrem Gehirn einen Tunnel durch die unvorstellbar reichhaltige physikalische Umwelt bohrt und im Verlauf dieses Vorgangs die Innenwände des Tunnels sozusagen in verschiedenen Farbtönen anmalt. Phänomenale Farbe. Erscheinung. Nur für das Auge des Bewusstseins.
    Aber das ist nur der Anfang. Es gibt keine saubere und systematische Eins-zu-eins-Abbildung von bewusst erlebten Farben auf irgendwelche physikalischen Eigenschaften »da draußen«. Viele verschiedene Wellenlängenmischungen können dieselbe qualitative Empfindung von Aprikosen- und Rosafarben erzeugen (Wissenschaftler nennen solche Mischungen Metamere ). Es ist auch interessant, festzustellen, wie die wahrgenommene Farbe eines Gegenstands unter sehr verschiedenen Beleuchtungsbedingungen fast vollständig konstant bleibt. Ein Apfel sieht zum Beispiel am Mittag grün für uns

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