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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Unterrichtswesen indiesem Land seien nicht gut genug. »Mit den neu integrierten Schulen, die in letzter Zeit gegründet wurden, ist es bloß so, daß das Niveau
tatsächlich
verdammt viel niedriger geworden ist, und – verstehen Sie – man darf einfach nicht zulassen, daß die eigenen Kinder so eine halbgare Schulbildung bekommen.«
    »Versteht sich. Momentan profitieren nur die schwarzen Kinder, während die weißen ein bißchen hintendran sind. Aber Sie denken doch nicht im Ernst daran, sie nach Südafrika zu schicken?«
    Wieder sagte sie: »Ach, ich weiß nicht. Es heißt, die Schulen seien gut.«
    Er wußte, daß sie ans Geld dachte; möglicherweise würde sie in Südafrika das Geld haben, um für sie zu bezahlen. Unter der Oberfläche wurde ihr Leben von den allervordringlichsten Problemen wie diesem hier bestimmt, angesichts dessen Skrupel und Gefühle Luxus waren. Er sagte aber freundlich: »Hier leben Sie doch alle glücklich und zufrieden mit den Tlumes zusammen. Und nun wollen Sie sie dorthin schicken, damit sie in der altmodischen kolonialistischen Tradition dazu erzogen werden, ihre weiße Hautfarbe für etwas zu halten, das sie vor anderen Menschen auszeichnet.«
    Sie lächelte ein wenig verlegen und abwehrend: »Nun, und was ist mit mir. Bei mir, in Kenia, war’s genau das gleiche. Das hält nur so lange vor, wie sie zur Schule gehen; da wachsen sie wieder heraus.«
    »Nicht jeder kann so natürlich sein wie Sie«, sagte er.
    Wieder drehte sie sich um, um sich auf ihre Ellbogen zu stützen. »Ich versteh nicht ganz, wie Sie das meinen.«
    »Sie halten sich an die Realität«, sagte er. »Es ist denen einfach nicht gelungen, Sie auf die guten alten kolonialistischen Theorien einzuschwören, daß ein Nigger ein Nigger ist und ein Weißer ein englischer Gentleman. Sie halten sich stur an andere Kriterien – ich hab keine Ahnung, was für welche das sind, aber auf die Hautfarbe berufen Sie sich zweifellos nicht.«
    »Das ist ein Riesentrara um nichts und wieder nichts. Wenndas alles ist, worüber man sich den Kopf zerbrechen muß …« Sie ließ den Kopf sinken und drehte sich wieder auf den Rücken. Vielleicht dachte sie über ihre »anderen Kriterien« nach – darüber, welche das wohl waren. Vielleicht war sie unzufrieden mit ihnen – mit sich selbst. Es war einfach, für sie Schlüsse zu ziehen und zu konstatieren, daß ihr Leben auf wunderbar simple Art und Weise von den grundlegendsten Bedürfnissen regiert wurde, selbst dort, wo es ein Provisorium und Kompromiß war. Welche Kriterien hatte dieser unsichtbare Mann, mit dem sie zwar verheiratet war, aber nie zusammenzuleben schien? Und der Ruf, sie sei nur allzu entgegenkommend, in dem sie bei den verheirateten Männern der kleinen Gruppe stand, die sie in der Hauptstadt zurückgelassen hatte? Wieder empfand er das, was er schon beim ersten Mal am Strand der Insel empfunden hatte, nur daß diesmal sie, diese junge Frau, da war, während er diesen Zustand unmittelbaren Seins erlebte, das sonderbar still und lebendig zugleich und nicht durch das vermittelt war, wer sie beide in bezug auf andere Menschen und andere Abschnitte ihres Lebens waren.
    Die Fischadler hockten gleichgültig auf einem toten Baum draußen im See. Versuchte er, ihrem Blick über das Wasser zu folgen, so fing der seine zu taumeln an, um in einiger Entfernung hinabzustürzen; ihr Blick überstieg das Vermögen des menschlichen Auges – so wie bestimmte Laute jenseits des Frequenzbereichs des menschlichen Gehörs liegen. Sie sagte: »Südafrikaner werden sie aber niemals werden.«
    »Es widerspricht Ihrem Realitätssinn, verstehen Sie. Es gibt keinen Realitätssinn ohne Prinzipien – es ist bloß Bequemlichkeit, wenn man behauptet, daß der Realist die Dinge akzeptiert, wie sie sind, selbst wenn es sich dabei um den Ausdruck einer unwirklichen und falschen Situation handelt. Sie sind jemand, der diese Situation durchschauen und für ihre Kinder rein instinktiv ablehnen sollte, selbst wenn es sich dabei um keinen Dauerzustand handelt. Das heißt, ein Prinzip in der Praxis anwenden.«
    Sie murmelte in ihre gekreuzten Unterarme: »Ich werd’s mirmerken.« – Daran, wie sich ihre halb versteckte Wange bewegte, konnte er erkennen, daß sie lächelte.
    Ach ja, wie wohl tat es doch, sich gegenüber einer eher einsamen jungen Frau als väterlicher Freund aufzuspielen, ihr klarzumachen, was mit ihr los war: »Besser, wir sehen zu, daß wir weiterkommen.«
    Gedankenverloren sagte sie:

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