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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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einer großen Gesellschaft, die Weißen gehörte. Bloß ein bißchen größer – technisch um nichts anspruchsvoller – als eine beliebige eigenhändig erbaute Anlage zum Dörren von Fischen, auf die man überall stieß, wo eine Hütte stand, fuhr man die Küste entlang nach Norden. Die üblichen Schilfgestelle, die man mit Gras zusammengebunden hatte und auf denen der Länge nach zerteilte Nilbarsche und Barben lagen, die steif waren wie gegerbte Häute, gelblich, vom Salz wie von Reif überzogen, und mächtig stanken. Der Boden war kahl, das Seeufer übersät von Konservendosen und Unrat, und an einem gab es keinerlei Zweifel: keiner da, der gearbeitet hätte. Es war allerdings Samstag. Nackte Kinder und Hunde, die es auf Aas abgesehen hatten, trieben sich herum; dann machte er die Entdeckung,daß es sich bei einer Reihe von verlassenen Hütten unter einem gemeinsamen, verrostenden Blechdach keineswegs um Lagerschuppen handelte, obwohl sie wie diese stanken, sondern daß hier Menschen wohnten. Sie besaßen keine Fenster, sondern bloß die finsteren Löcher der Türöffnungen. Undeutlich zeichneten sich in der Dunkelheit Gesichter ab; nun bemerkte er, daß das, was er für umherliegenden Unrat gehalten hatte, in Wahrheit die Haushaltsgüter dieser Menschen waren. Herkömmliche Gerätschaften aus Lehm und Holz gab es nicht; und es gab auch keine, die im Geschäft gekauft worden waren – nichts als die immer gleiche Art von Abfall, der wie Schaum das Seeufer säumte und gebrauchsfähig gemacht worden war, so als lebten diese Menschen vom Dreck, dessen sich eine Gesellschaft entledigt hatte, die selbst schon erbarmungswürdig genug war und ihrerseits die billigsten und schlechtesten Güter des weißen Mannes benutzte. Er schämte sich, weil er hinaufging und die Leute anstarrte, aber er ging in ein paar Schritt Entfernung eilig an ihnen vorüber – mit dem typischen Schmerz, den der Anblick geduldig hingenommener Erniedrigung beim Wohlgenährten auslöst. Der malariakranke Greis lag im Freien auf dem Boden, die Beine angezogen, so als nähme er schon die traditionelle Begräbnishaltung ein. Seine Anwesenheit wurde aus jenen schwarzen Löchern der Türöffnungen, die aufgerissen waren wie verfaulende Mäuler, mit dem unsicheren Grinsen der Senilität oder des Ernährungsmangels quittiert. Er bemerkte, daß es drinnen keinerlei Besitztümer gab, nur Menschen, die sich starr, auf dem Rücken liegend, aus der Sonne zurückgezogen hatten. Mit dem für eine angeborene Hüftgelenkluxation typischen, rollenden Gang kam ein Mädchen heraus, im Gesicht den wilden Ausdruck des Krüppels, der von Anstrengung, nicht von Übellaunigkeit herrührt, und nahm die Bettlerhaltung ein. Ein altes Weib blickte gesprächsbereit auf, fand es dann aber zuviel der Mühe, etwas zu sagen.
    Er ging um die Gefrieranlage herum zurück zum Wagen und sagte zu Rebecca: »Kommen Sie einen Augenblick her. Ich möchte Ihnen was zeigen.«
    Sie gingen schnell – sie gefügig, wobei sie ihn aber trotzdem neugierig musterte. »Himmel, was für ein Gestank …« Sie gingen an den Gestellen vorbei. Er faßte sie am Arm und führte sie an der Reihe der Hütten entlang. Sein Griff schien sie am Reden hindern zu wollen. Sie sagte: »Aber das ist ja grauenhaft.« »Ich mußte es Ihnen zeigen.« Sie unterhielten sich halblaut miteinander, ohne sich dabei anzusehen. Das verkrüppelte Mädchen, das alte Weib, die Kinder beobachteten sie, als sie an ihnen vorübergingen.
    Wieder beim Wagen, platzte sie los: »Warum unternimmt denn keiner was dagegen? Wer sind denn diese Leute?«
    Er nickte. »Ich wollte mich bloß vergewissern, daß ich nicht irgendwie übertreibe. Ich meine, dieses Land ist nach wie vor arm. Das Leben in den Dörfern sieht nicht ganz so rosig aus.«
    »Aber das! In den Stammessiedlungen haben sie vielleicht nicht die Dinge, die man in der Stadt kriegen kann, aber trotzdem haben sie ein paar eigene Habseligkeiten, und man kann auch sehen, daß sie
leben
. Die hier haben ja überhaupt nichts, Bray, überhaupt nichts. Nicht einmal das Allernötigste zum Leben, egal, was man darunter versteht.«
    »Genau den Eindruck hab ich auch gehabt. Irgendwie ist denen die Haut komplett abgezogen worden.«
    »Wovon leben die denn überhaupt?«
    »Vom Fischdörren.« Er erzählte ihr die Geschichte, während sie losfuhren und das Gelände hinter sich ließen.
    Schließlich sagte er: »Also gut – suchen wir uns was, wo wir essen können«, und verlangsamte seine

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