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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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den Sinn gekommen, daß ich ihm eigentlich nicht begegnen möchte! – aber die Kinder, die wie kleine Hunde vor dem Mann einherliefen, platzten in die Unterhaltung, purzelten beinahe über die beiden, und eine Stimme, die er wegen ihrer mühelosen Überzeugungskraft unwillkürlich für die eines Iren hielt, verschaffte sich Zutritt, redend und redend: »Das ist der richtige Baum für ein Baumhaus, Clivie, schau dir den mal an! Das nenn ich einen Baum! Da könnte man eins hinstellen, das Platz genug für ein Feldbett hätte …« »Und für einen Herd, zum Kochen …« Das magere kleine Mädchen hüpfte auf und ab, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Ich zeig’s dir – ich klettere da immer rauf!« – Der kleinere Junge klettertelos, ohne seine Mutter oder Bray eines Blickes zu würdigen. »Sagst du denn Bray nicht guten Morgen, sagst du nicht guten Morgen?« Sie holte ihn sich, während er sich mit Händen und Füßen wehrte – »Laß mich los! Laß mich los!« Sie lachte und hielt ihn rachsüchtig fest, während er nach ihr trat und aufbegehrte, in seinen schwarzen Augen Tränen der Wut.
    »Um Himmels willen, Becky – warum muß es denn, überall wo wir hinkommen, gleich Mord und Totschlag geben.«
    Sie setzte das Kind auf dem Boden ab und lachte über dessen Riesenzorn und über den Vorwurf. Der kleine Junge, der halbherzig nach den Schienbeinen seiner Mutter zu treten versuchte, hatte jene ausgeprägten Züge und Körpermerkmale, die bei einem Kind Zeichen einer stark erblich bedingten Ähnlichkeit sind. Nun sah Bray das Gesicht, das in dem des Kindes steckte. Der Ehemann war eine Überraschung; aber das wäre er vielleicht allemal gewesen, egal, wie er aufgetaucht wäre, und zwar einfach, weil er für Bray überhaupt nicht existent gewesen war. Er sah überdurchschnittlich gut aus, auf graziöse und vollendete Art, ein eher kleingewachsener Mann – aber auch das wieder vielleicht nur gemessen an Brays Körpergröße. Etwa einsfünfundsiebzig – groß genug, um Rebecca in einem für den männlichen Stolz ausreichenden Maß zu überragen. Er wußte seine jungenhafte Kleidung mit Eleganz zu tragen – enganliegende beige Hosen, Gürtel auf den Hüften, ein Seidentuch, das im offenen Kragen seines Hemdes gebunden war. In ihrem gelben Kleid und ihren Sandalen mit Gummiriemchen wirkte Rebecca neben ihm schäbig. An einem der beiden kleinen Finger seiner kräftigen, olivenfarbenen Hände trug er einen Heliotrop, und auch sein Gesicht mit den großen, ruhigen, glänzenden schwarzen Augen des kleinen Jungen und dem mattroten, frischen Mund war gleichmäßig olivenfarben. Beim erwachsenen Mann hatte das Gesicht eine C-förmige Lachfalte, die das Ende der Lippen gerade eben andeutete, und speichenförmige Lachfältchen in den äußeren Winkeln der Augen. Sein dunkles Haar wurde vorzeitig silbergrau und sah wie das eines Schauspielers aus, der sich, umdistinguiert zu wirken, hatte Streifen einfärben lassen. Er sagte gerade: »Vermutlich sind Sie diesen ganzen Wirbel gewöhnt, den meine Leute machen. Ich bin der Ansicht, Becky hat ihnen die Zügel zu sehr schießen lassen, sie ist zu weich. Ja – ich werde euch das Fell gerben müssen …« Er drehte sich um und knurrte die Kinder zum Spaß an, so daß sie kreischend auflachten, der Kleine noch immer mit Tränen in den Augen, die nicht aufgetrocknet waren. »Aber der Baum, den Sie da haben, der ist ja ideal für ein Baumhaus. Ich glaube nicht, daß ich die Finger davon lassen könnte, selbst wenn ich meine Kinder nicht um mich hätte, denn dann hätte ich meine eigene kleine Zufluchtsstätte da oben, mit elektrischem Licht, und hinter mir würde ich die Leiter hochziehen …«
    Und Bray, der gutmütige Freund, sagte: »Oh, ich komm mit diesem alten Ding da am Boden aus, wie Sie sehen …«, während Rebecca mit der gleichen, erregten, koketten, übertriebenen Art, in der sie mit ihm geredet hatte, nun zum Angriff überging: »Gordon, bring sie doch um Himmels willen nicht auf eine solche Schnapsidee. Laß doch wenigstens Bray mit seinem Baum zufrieden, du hast ja keine Ahnung, wie er in seinen Baum vernarrt ist …«
    Während sie in dieser verbindlichen Leichtigkeit weiterredeten, registrierte er den Lapsus – selbst sie, mit all ihrem offenkundigen Geschick, dem Kind einer langen Praxis. Wenn eine Frau den Nachnamen eines Mannes auf diese Weise benutzte, dann sicher nicht im Sinne einer formellen Anrede; es war eine auf verräterische Weise umgekehrte

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